Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
gesprochen als beabsichtigt.
» Nein, Sidonie. Ich habe dich nicht betrogen.« Aszulay hatte die Stimme nicht erhoben, und ich meinte eine tiefe Besorgnis in seinem Ausdruck zu erkennen. » Ich wollte … wollte dich beschützen.«
Ich griff nach meiner Tasche, und er ließ sie los. » Mich beschützen? Wovor denn?«, sagte ich, lauter als nötig. Dann schlang ich die Riemen über die Schulter, wandte mich abrupt um und ging in Richtung der Sharia Soura.
Ich stieg die Treppe zu meinem Zimmer hinauf und legte mich aufs Bett. Etienne war hier – ich brauchte nur in die Sharia Zitoun zu gehen, wenn ich ihn sehen wollte. Doch warum graute mir mit einem Mal davor, statt dass ich mich freute? Hatte ich nicht gerade Aszulay gegenüber betont, dass ich Etiennes wegen nach Marrakesch gereist war? Seinetwegen hatte ich so lange in dieser Stadt ausgeharrt. Warum war ich wütend auf Aszulay? War es denn Wut oder vielmehr etwas anderes?
Ich stand auf und betrachtete mich im Spiegel.
Wieder fiel mir auf, wie sehr ich Manon ähnelte.
Alles hatte sich verändert, war mit einem Mal so verworren. Das, was gerade zwischen mir und Aszulay begonnen hatte …
Nein, ich fühlte mich noch nicht in der Lage, mich in die Sharia Zitoun zu begeben. Ich brauchte noch etwas Zeit, musste eine Nacht darüber schlafen, um mich für die Begegnung mit Etienne zu wappnen.
Aber freilich tat ich die ganze Nacht kein Auge zu. Meine Gedanken irrten zwischen Aszulays Kuss und der Erinnerung, wie er mir die Füße gewaschen hatte, und Etienne hin und her, und ich stellte mir im Geiste vor, was ich ihm sagen würde. Was er mir sagen würde.
Stunde um Stunde wälzte ich mich schlaflos im Bett und war froh, als ich die Rufe der Muezzins zum Morgengebet hörte. Ich badete auf meinem Zimmer und wusch mir die Haare. Dann nahm ich mein bestes Kleid – das grüne Seidenkleid mit den weiten Ärmeln – aus dem Koffer und zog es an. Ich kämmte das noch feuchte Haar zurück, steckte es mit Haarnadeln hinter den Ohren fest und betrachtete mich im Spiegel.
Das Kleid war heillos zerknittert und hing wie ein Sack an mir. Auch wenn mich mein dunkler Teint nie wirklich blass erscheinen ließ, so wirkte ich dennoch seltsam abgehärmt, als wäre ich gerade von einer schweren Krankheit genesen. Und mit den nach hinten frisierten Haaren wirkte mein Gesicht zu streng, zu kantig.
Ich setzte mich wieder aufs Bett. Dann zog ich die Haarnadeln heraus und spürte, wie mir die dichten Locken auf die Schultern fielen. Ich entledigte mich meines Kleides und streifte mir stattdessen einen Kaftan über. Schließlich nahm ich haik und Gesichtsschleier und ging nach unten. Ich bat Mena, mir ihren Kohl zu borgen, und schminkte die Augen. Dann rief ich nach Najeeb und ließ mich von ihm in die Sharia Zitoun begleiten.
SIEBENUNDDREISSIG
I ch betrachtete das hamsa an dem safrangelben Tor. Dann schloss ich die Augen und betätigte den Türklopfer.
Kurz darauf rief Falida von innen, wer da sei.
» Mademoiselle O’Shea«, antwortete ich ruhig.
Sie zog das Tor auf. Ich stand wie angewurzelt da, unfähig, meinen Füßen zu befehlen weiterzugehen.
» Mademoiselle?«, sagte Falida. » Sie reinkommen?«
Ich nickte, nahm einen tiefen Atemzug und trat in den Innenhof. Aus dem Haus drangen laute Stimmen. Badou saß auf der untersten Stufe der Außentreppe.
» Bonjour, Sidonie«, begrüßte er mich, ohne jedoch angerannt zu kommen wie sonst immer.
» Bonjour, Badou. Falida, ist Monsieur Duverger im Haus?«
Sie nickte.
» Bitte geh hinein und sag ihm, Mademoiselle O’Shea sei da.«
Sie trat ins Haus, und einen Augenblick später erstarben die Stimmen.
Leicht zitternd wartete ich, und plötzlich war er da. Etienne. Mein Etienne. Zuerst war ich schockiert angesichts seines Aussehens: Er war viel dünner, als ich ihn in Erinnerung hatte, und nun sah ich noch deutlicher, wie hager sich seine Schultern unter dem Jackett abzeichneten. Doch im Gegensatz dazu wirkte sein Gesicht, das auffällig blass war, aufgeschwemmt. War er schon immer so blass gewesen, oder war ich inzwischen einfach nur eine dunklere Hautfarbe gewohnt?
Er starrte mich an.
Ich versuchte mir in Erinnerung zu rufen, dass ich ihn liebte. Doch als ich ihn so vor mir stehen sah, so … hohl und ausgezehrt, empfand ich keine Liebe. Ich spürte Hass. Ich dachte daran, was ich alles durchgemacht hatte, welche Strapazen ich auf mich genommen hatte, um herzukommen und nach ihm zu suchen, und wie ich mich mit der launischen
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