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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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umfassten. Sie trug gehäkelte gelbe Handschuhe.
    » Sind Sie zum ersten Mal auf See?«, fragte sie in gebrochenem Englisch, und ich fragte mich, ob man mir meine Gefühle so deutlich vom Gesicht ablesen konnte.
    » Oui«, sagte ich, da ich ihren Akzent ausgemacht hatte. » La première fois.«
    Sie lächelte und entblößte eine schlecht sitzende Zahnprothese, die zu groß wirkte. » Ach, Sie sprechen Französisch, auch wenn freilich nicht mein Französisch. Ich komme nämlich aus Paris«, sagte sie. » Reisen Sie von Marseille aus nach Paris weiter?«
    Ich schüttelte den Kopf, verriet ihr mein Reiseziel jedoch nicht. Ich bemerkte, wie sie meine unbehandschuhten Hände auf der Reling anstarrte.
    » Haben Sie Verwandte in Paris?«
    Wieder schüttelte ich den Kopf.
    » Dann sind Sie auf dem Weg zu Ihrem Geliebten?«, fragte sie mit einem anzüglichen Lächeln.
    Ich blinzelte und öffnete den Mund, aber mir fehlten die Worte.
    Sie nickte zufrieden. » Ich kann es sehen. Ja, Sie sind auf dem Weg zu Ihrem Geliebten.«
    Ich starrte sie einen Moment lang an und sagte dann zu meiner eigenen Überraschung: »Also gut, ja. Ich reise … um … jemanden zu suchen.«
    Wieder nickte die Frau und musterte mich. Ihr Blick verweilte auf meinen Wangen und wanderte dann meinen Körper hinab. Als ich an diesem Morgen vor dem Spiegel mit zitternden Händen mein Haar gebürstet hatte, war mir aufgefallen, wie ungewöhnlich hohlwangig mein Gesicht wirkte.
    » Eh bien. La grande passion. Natürlich, meine Liebe. Eine Frau sollte immer dem Unvermeidlichen folgen. Ich selbst habe einige große Leidenschaften gehabt.«
    Den Kopf zur Seite geneigt, betrachtete sie mich mit einem schelmischen Lächeln. Trotz ihrer Falten, in denen sich der Puder sammelte, und den dünnen Lippen über dem künstlichen Gebiss ahnte ich, dass sie früher einmal eine gewisse Anziehungskraft auf Männer ausgestrahlt haben musste. Und gewiss hatte sie deren Leidenschaft erweckt.
    Aber sie musste doch erkennen, dass ich ganz bestimmt nicht zu diesem Frauentyp zählte.
    Ich lächelte höflich und entschuldigte mich, ehe ich mich umdrehte und zu meiner Kabine zurückging, ohne zuzusehen, wie Amerika – meine Heimat – in der Ferne immer kleiner wurde. Fast während der ganzen Seereise blieb ich dort, und weil ich mich nicht gut fühlte, aß ich kaum etwas. Mir war auch nicht danach, auf dem Deck spazieren zu gehen, geschweige denn, mich mit jemandem zu unterhalten, aus Angst, abermals die alte Frau zu treffen und in ein unliebsames Gespräch verwickelt zu werden. Ich wollte keine Fragen beantworten. Ich hatte keine Antworten, sondern selbst nur Fragen.
    Zu den Mahlzeiten ließ ich mir ein Tablett mit einfachen Speisen in die Kabine bringen und verbrachte meine Zeit mit Lesen oder Schlafen. Beides fiel mir schwer. Ich war zu abgelenkt, um tiefen Schlaf zu finden oder mich auf eine Lektüre zu konzentrieren.
    Als wir endlich in Marseille anlegten, empfand ich tiefe Erleichterung. Ich hatte mir gesagt, dass es, wenn ich jenseits des Atlantiks angelangt wäre, keine Umkehr mehr gäbe. Wenn ich so weit gekommen war, sprach dies von meiner Entschlossenheit. Ich vermied, das Wort Verzweiflung zu benutzen.
    Doch nun, in Tanger, wollte ich lieber nicht an Marseille denken oder an irgendetwas, was davor geschehen war. Ich ertrug es einfach nicht.
    Schnell stand ich auf und presste einen Moment lang die Finger an die Schläfen. Ich trank ein Glas Wasser aus der Wasserflasche auf der Frisierkommode und ging dann in die Eingangshalle zurück, um trotz der Warnung des Pagen nach der Treppe zum Dach zu suchen. Ich wollte Tanger aus der Höhe betrachten. Als ich krank und orientierungslos vom Hafen durch die engen Gassen zum Hotel gelangt war, war es gewesen, als betrachtete ich diese neue Welt wie durch einen langen Tunnel. Mein Blick war wohl ähnlich von Scheuklappen begrenzt gewesen wie der des Esels, der den Karren zog, nicht fähig, nach rechts oder nach links zu blicken, sondern nur geradeaus.
    Am Ende des Flurs fand ich eine Tür mit einem einfachen Riegel, und dahinter die Treppe. Sie war steil, und es gab kein Geländer. Obwohl ich normalerweise solche Treppen mied, stieg ich hinauf, froh, dass das Treppenhaus schmal genug war, sodass ich mich seitlich mit beiden Händen abstützen konnte. Ein stechender Abwassergeruch lag in der Luft, doch als ich oben ankam und in das blendende Tageslicht hinaustrat, waren die Düsterkeit und der Gestank wie weggewischt, und ich konnte

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