Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
dieser herrliche Silver Ghost, nicht wahr? Eine wahre Schönheit. Ihn zu fahren war, wie auf einer Wolke zu schweben.«
Auch ich wusste alles über den britischen 1921 Rolls-Royce mit seinem Steuer auf der rechten Seite, dem Faltdach aus Leder, den Trommelscheinwerfern und den Rohrstoßstangen.
» Er hatte eine lange, schlanke weiße Karosserie mit ochsenblutfarbener Bordüre«, fuhr mein Vater fort, während er versonnen lächelte. Er nahm seine Pfeife und klopfte sie im Aschenbecher aus, wobei ein feuchter Tabakklumpen in das Gefäß fiel. » Wie gern bin ich dieses großartige Automobil gefahren.«
» Vater?« Ich stand auf und konnte ein Lächeln ebenfalls nicht länger unterdrücken. » Mr Harding hat ihn dir vermacht. In seinem Testament, Vater. Der Wagen gehört dir.« Meine Stimme war vor Aufregung lauter geworden.
Doch mein Vater war ganz still. Ich wartete auf eine Reaktion – einen Ausruf, ein Lachen, irgendetwas, aber er rührte sich nicht.
» Freust du dich nicht darüber, Vater? Du hast doch gerade gesagt …«
Er nickte. » Ich weiß, mein Mädchen. Ich weiß, was ich gesagt habe.«
» Warum bist du dann nicht …«
Wieder unterbrach er mich. » Es ist zu spät, Sidonie. Die Zeit, da ich einen solchen Wagen hätte besitzen können, ist vorüber. Du weißt, dass meine Augen nicht mehr gut genug sind.«
» Du könntest ihn noch tagsüber, bei hellem Sonnenlicht, fahren«, sagte ich.
Er schaute mich an. » Nein, Sidonie. Auch mit Brille sehe ich nicht mehr gut genug.«
Ich setzte mich wieder und zeichnete mit der Fingerspitze den geprägten Briefkopf nach. » Wie auch immer, er gehört dir.«
» Was soll ich damit machen?«
Ich setzte mich aufrecht hin. » Ich könnte ihn fahren, Vater. Du könntest es mir beibringen, und ich chauffiere dich mit dem Wagen nach Herzenslust durch die Gegend.« Der Gedanke war für mich so erregend, dass ich immer schneller sprach. » Stell dir das doch vor, Vater. Wir könnten überall hinfahren.«
Stille trat ein.
» Vater? Ich könnte den Wagen fahren«, sagte ich nochmals.
» Nein, Sidonie.« Er stopfte seine Pfeife.
» Was heißt das, nein?« Ich sah zu, wie er mit dem Daumen den Tabak in den Pfeifenkopf drückte. » Natürlich kann ich fahren lernen. So schwer wird das ja nicht sein.«
» Dazu muss man seine Hände und Füße koordinieren können, Sidonie. Man muss in der Lage sein, die Pedale zu bedienen – das Gas, die Bremsen und die Kupplung. Und dazu muss man uneingeschränkt die Knie beugen können. Ich glaube nicht …« Er warf einen verstohlenen Blick auf meinen orthopädischen Schuh, dessen Absatz ein wenig höher war als der andere.
Meine Mundwinkel zuckten. » Das kann ich lernen«, sagte ich laut. » Ich will es, und ich will diesen Wagen haben.«
Mein Vater sah mich überrascht an. » Nun, einen solchen Ton bin ich von dir nicht gewohnt.«
Ich hatte selbst bemerkt, dass ich die Stimme erhoben hatte. Doch der Gedanke, einen Wagen zu fahren, erregte mich. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass sich seit langem nichts mehr in meinem Leben verändert hatte. Ich konnte mich nicht einmal erinnern, wann ich zuletzt etwas Neues gelernt hatte und stolz darauf gewesen war, etwas bewerkstelligt zu haben.
Ich senkte das Kinn und bemühte mich um einen ruhigeren Ton. » Es ist nur so, dass … man hat dir den Wagen vermacht, Vater. Wenn du ihn nicht willst, dann nehme ich ihn eben.«
Er schüttelte den Kopf. » Wie gesagt, du könntest ihn nicht …«
» Doch, ich könnte. Und ich werde auch. Du wirst schon sehen.« Unvermittelt musste ich an meine Mutter denken und daran, dass ich es versäumt hatte, ihr zu sagen, wie sehr ich all das schätzte, was sie für mich getan hatte. » Also, Papa, was ist?«
Er war wieder mit dem Stopfen seiner Pfeife beschäftigt, unterbrach sich jedoch und blickte mich an.
» Warum lässt du mich das nicht für dich tun? Dich fahren, wohin auch immer du willst? Deine Freude sehen, wieder in einem schönen Wagen zu fahren? Du hast den größten Teil deines Lebens damit verbracht, andere Menschen herumzukutschieren. Und einen großen Teil damit, dich um mich zu kümmern. Nun ist es Zeit, dass ich einmal etwas für dich tue. Lass mich dich fahren, Vater, bitte.«
Er antwortete nicht, doch sein Ausdruck wurde weich, und da wusste ich, dass der Silver Ghost mir gehören würde.
Kaum war der Wagen in unserem Hinterhof abgeliefert worden, begann mein Vater, mir Fahrstunden zu geben. Er war überrascht, dass ich alles
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