Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
die Winterstarre gezwungen, als Jugendliche mit meinen Gebeten, um wieder geheilt zu werden, und später weil es einfacher gewesen war, ein Leben im Zölibat zu führen, ohne es zu hinterfragen.
Nachdem er gegangen war, setzte ich mich im Dunkeln aufs Bett und ließ den Moment im Geiste Revue passieren. Ich wollte diese wunderbaren Gefühle festhalten, spürte aber auch eine unbestimmte Sorge.
Dr. Duverger sah gut aus. Er war klug und geistreich und lachte gern. Er hatte einen interessanten Beruf und war schon in der Welt herumgekommen.
Ich verstand nicht, warum er mit mir zusammen sein wollte. Mit einer Frau mit einer wilden Lockenfrisur und dunklen Augen und gebräunter Haut. Einer, die hinkte und zwei Schuhe mit ungleich hohen Absätzen trug. Mit einer bleibenden, wenngleich langsam verblassenden Narbe im Gesicht. Einer Frau wie mir mit ihrem kleinen, unbedeutenden Leben, der es auf so vielen Gebieten an Erfahrung mangelte.
Natürlich wusste ich durch meine regelmäßige Lektüre der Tageszeitung und von Büchern, was in der Welt vor sich ging, und ich schaltete jeden Morgen das Radio ein, um Nachrichten zu hören. Doch was das eigentliche Leben anging … Ich bemühte mich zu verbergen, wie wenig ich davon auch nur ahnte – dem Leben jenseits der Juniper Road, jenseits Albanys –, indem ich Etienne dazu ermunterte, von sich zu erzählen. Immer wieder stellte ich ihm Fragen und hörte ihm aufmerksam zu.
Er hatte einen exotischen Hintergrund. Zwar war er in Paris geboren worden und hatte dort sein Studium absolviert, doch einen Großteil seiner Kindheit und Jugend hatte er, wie ich nach und nach von ihm erfuhr, mit seiner Familie in Marokko verbracht, in Marrakesch. Als er zum ersten Mal Marokko erwähnte, versuchte ich im Geiste, das Land auf dem Atlas zu orten, doch vergeblich. Das Einzige, was mir im Zusammenhang mit diesem Namen einfiel, war der delikate Einband eines teuren Buches, das in Marokkoleder eingeschlagen war. Und was Marrakesch betraf, so hätte ich nicht einmal den Namen buchstabieren können.
» Aber wie kommt das?«, fragte ich, als er zum ersten Mal davon erzählte. » Warum lebten deine Eltern in Marokko?« Auf seinen Wunsch hin sprach ich nun Französisch mit ihm. Mein provinzielles kanadisches Französisch war wenig kultiviert und, wie mir allmählich bewusst wurde, mit umgangssprachlichen Wendungen gespickt. Also bemühte ich mich von Anfang an, sein Pariser Französisch nachzuahmen. Freilich entging es ihm nicht, aber er sagte mir, er finde es rührend.
» Wegen des französischen Protektorats. Die Franzosen haben das Land zu Beginn dieses Jahrhunderts besetzt, sodass zahlreiche Franzosen nach Marokko zogen. Mein Vater, der ebenfalls Arzt war, hatte schon vor der französischen Besetzung mit Marokko zu tun. Er war mehrmals mit dem Schiff dorthin gereist und hatte geholfen, ein paar Krankenhäuser zu errichten. Er erzählte mir, dass damals in Nordafrika die Medizin noch in den Händen von Wunderheilern lag, deren Kunst in krassem Widerspruch zu unserer rationalen Wissenschaft stand.« Er lächelte. » Doch offensichtlich sind die Marokkaner auch ohne die Franzosen zurechtgekommen.«
Ich erwiderte sein Lächeln und legte die Hand an die Wange, um meine Narbe zu verbergen. Diese unbewusste Geste war noch eine Angewohnheit von mir aus der Zeit vor der Operation, und gelegentlich erinnerte mich Etienne, dass ich sie noch immer nicht abgelegt hatte.
» Tu das nicht, Sidonie«, sagte er jetzt. » Bitte. Ich habe dir schon so oft gesagt, dass es nicht mehr nötig ist. Du bist schön.« Er hielt inne. » Deine Schönheit ist von melancholischer Art. Ja, in der Tat.« Er streckte den Arm aus, um meine Hand von meinem Gesicht wegzuziehen. » Die Narbe verleiht dir einen Hauch von Anrüchigkeit. Als führtest du ein verwegenes Leben.«
Ein verwegenes Leben. In meinem Leben gab es nichts dergleichen. Kein Abenteuer und keine damit verbundenen Konsequenzen. Ich hatte tiefen Kummer erlebt, aber nie schwindelerregende Freude. Ich lachte. » Etienne. Also von meinem Leben sprichst du da bestimmt nicht. Bitte, erzähl mir mehr von Marokko.«
Er nickte, ohne meine Hand loszulassen. » Du bist eine gute Zuhörerin, Sidonie. Du siehst mich immerzu an, und dein Gesicht ist dabei so ruhig. Ich glaube … Ich glaube, dass du es gewohnt bist, in die Stille hineinzulauschen.«
» Deswegen bin ich so gern in den Sümpfen von Pine Bush, ich habe dir ja davon erzählt. Und ich liebe es, im Garten zu
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