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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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arbeiten oder zu malen. Oder spätabends auf der Veranda zu sitzen, wenn das Leben in den Straßen erlischt. Die Stille lässt mich besser nachdenken.«
    Wieder lächelte er. » In Marrakesch gibt es keine Stille.«
    » Wie meinst du das?«
    » Die Stadt ist so voller Farben und Geräusche und Bewegung, als würde alles ineinanderfließen. Und doch hatte dieser Geräuschpegel im Grunde eine beruhigendere Wirkung auf mich als die Stille. Es ist wie ein konstantes Sirren, ein Vibrieren unter den Füßen. Und die Sonne …« Er blickte zum Wohnzimmerfenster. Er trank Bourbon – er hatte selbst eine Flasche mitgebracht – und ich Limonade. » Die Sonne ist von einer ganz anderen Intensität als hier. Auch die Luft fühlt sich anders an. Mein erster Winter in Amerika …« Er schauderte theatralisch. » Natürlich hatte ich auch in Paris einige Winter erlebt, aber hier wird die Luft im Winter so dünn, dass einem das Atmen schwerfällt. Der Schnee roch für mich anfangs metallisch. Wie Blut. Der marokkanische Himmel hingegen, die Sonne …« Sein Gesichtsausdruck war belebt, seine Wangen erhitzt.
    » Wann warst du zuletzt dort?«
    Seine Miene veränderte sich, und statt meine Frage zu beantworten, kam er auf unser ursprüngliches Thema zurück. » Dank des französischen Protektorats bekam mein Vater eine permanente Stelle in Marrakesch, und unsere Familie zog ebenfalls dorthin. Ich war damals noch ein Junge. Mein Vater behandelte nur Franzosen; die Marokkaner hielten sich an ihre eigenen Heiler. Vor allem die Frauen in den Harems.«
    » Gibt es dort tatsächlich Hunderte wunderschöner Frauen? In den Harems?«, fragte ich und bemühte mich, nicht allzu beeindruckt zu klingen angesichts des ungewöhnlichen Lebens, das dieser Mann geführt hatte. Mir meinen Stolz nicht anmerken zu lassen, weil er ausgerechnet mir davon erzählte.
    Etienne hob die Augenbrauen und lächelte wieder. Wenn er von Marokko sprach, hatten sein Gesicht und seine Stimme meistens einen leidenschaftlichen Ausdruck. Ich wusste, dass er dieses Land, das während des Großteils seiner Jugend seine Heimat gewesen war, zutiefst liebte. » Die meisten westlichen Vorstellungen von einem Harem basieren auf romantisierenden Romanen und Gemälden. Doch ein Harem in Marokko ist ganz einfach der Frauenbereich innerhalb eines Hauses. Das Wort stammt von dem arabischen Begriff haram«, erklärte er, » das › schändlich‹ oder › sündhaft‹ bedeutet. Doch im heutigen Sprachgebrauch meint es einfach nur › verboten‹ oder › tabu‹. Männern mit Ausnahme von den Ehemännern, Söhnen, Brüdern und Vätern der Frauen ist der Zutritt zu den Frauenbereichen verboten.«
    » Also … bekommen sie keine anderen Männer zu Gesicht außer denen, mit denen sie verwandt sind?«
    Er nickte. » Den Frauen der Oberschicht ist es nicht einmal gestattet, das Haus zu verlassen, abgesehen vom Besuch gewisser ritueller Veranstaltungen. Das Leben ist nicht einfach für sie. Je nach seinem wirtschaftlichen Erfolg kann ein Mann bis zu vier Ehefrauen haben. Das ist eine muslimische Tradition.«
    Er musste mir die Verblüffung wohl am Gesicht abgelesen haben.
    » Für uns ist das nur schwer zu verstehen, ich weiß. Mein Vater erzählte, dass die Frauen im Harem nicht selten einem Machtkampf unterworfen waren. Manche versuchten sogar, sich einer Art Zauberei zu bedienen, wenn sie ihre Stellung festigen wollten. Sie sahen darin den einzigen Weg, ihre Männer zu lenken, aber auch ihren Status unter den anderen Frauen zu regeln.«
    » Was meinst du mit Zauberei? Was machen sie genau?«
    Er blickte in sein Glas. » Für mich ist es nichts weiter als rückständiger Aberglaube.« Er sah mich wieder an, und ich bemerkte, dass seine Miene wieder verschlossener war. » Sie glauben an okkulte Dinge und versuchen, entweder zu ihrem eigenen Nutzen Macht zu erlangen oder aber böse Kräfte abzuwehren, mit denen andere sie belegt haben.« Seine Stimme klang jetzt wieder ganz sachlich, als handelte es sich um ein medizinisches Phänomen. » Sie stellen allerlei Tränke her, denen sie entweder eine positive oder negative Wirkung zuschreiben, um gewisse Ereignisse herbeizuführen – die Geburt eines Kindes, eine Krankheit, Liebe oder sogar den Tod – oder um sich selbst vor den bösen Geistern zu schützen, die, wie sie glauben, überall lauern. Ihr Leben wird zum großen Teil von Unwissenheit und Aberglaube beherrscht.« Seine Stimme hatte einen harten Klang angenommen. » Dabei gefährden

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