Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Er streichelte mir mit seinem Zeige- und Mittelfinger über die Stirn. Ich wünschte, seine Berührung würde andauern, sehnte mich nach weiteren Zärtlichkeiten. » Ich glaube, hier drinnen ist noch sehr viel mehr«, sagte er und drückte sanft gegen meine Stirn. » Du verstehst, was ich meine, nicht wahr? Du siehst andere Dinge hier drinnen.«
Ich schloss die Augen und hoffte, er würde seine Finger auf meiner Stirn lassen. » Ja. Aber … das hier, also Pflanzen und Vögel, habe ich schon immer gemalt.« Ich ergriff seine Hand, die noch immer auf meiner Stirn lag, und führte sie zu meiner narbigen Wange hinab. Ich wagte nicht, die Augen zu öffnen, erschrocken von meiner eigenen Kühnheit.
» Warum malst du nicht die Dinge in deinem Kopf?«, fragte er ruhig, doch ich wusste keine Antwort.
Eine Weile verharrten wir so, meine Hand auf seiner, die auf meiner Wange ruhte, dann zog er mich mit dem anderen Arm an sich.
» Ist das genug?«, flüsterte er mir ins Ohr. » Für eine Frau wie dich, eine Frau mit einem stürmischen Herzen, so abgeschlossen zu leben und nur zu malen, was du um dich herum siehst?«
Sah er mich denn so? Als Frau mit einem stürmischen Herzen?
Gut möglich, dass das der Moment war, da ich mich in ihn verliebte.
Ich wollte, dass er mich wieder küsste, aber das tat er nicht. Noch immer den Arm um mich geschlungen, nahm er ein anderes Bild, die Abbildung eines Daunenspechts auf dem Ast einer Färbereiche.
» Ich habe mich immer nur mit Wissenschaft beschäftigt«, sagte er, » und kenne mich mit Kunst nur wenig aus. Aber die Schönheit habe ich schon immer geschätzt«, fügte er hinzu und ließ mich los, um näher ans Fenster zu treten, wo er das Bild ein wenig von sich weghielt. » Denn das Wesen der Schönheit ist das Geheimnisvolle«, fügte er hinzu.
» Geheimnisvolle?«, fragte ich. Noch immer spürte ich meinen beschleunigten Herzschlag, den sein an mich gepresster Körper hervorgerufen hatte. » Aber glaubst du wirklich an das Geheimnisvolle als Arzt? Zählen für dich nicht nur die Fakten?«
Er ließ das Bild sinken und drehte sich wieder zu mir um. » Ohne das Geheimnisvolle gäbe es keine Forschung und somit keine Entdeckung von weiteren Fakten.« Einen Moment lang sahen wir uns an. » Du bist auch geheimnisvoll, Sidonie«, sagte er und legte das Bild auf den Tisch zurück.
Ich hörte meinen Atem – er war zu laut und zu schnell. Wieder legte er die Arme um mich, und ich hob das Gesicht zu ihm, damit er begriff, wie sehr ich mich danach sehnte, dass er mich küsste. Und das tat er auch. Diesmal zitterte ich nicht, doch mein Körper fühlte sich gleichzeitig schwer und leicht an, wie flüssig, sodass ich fürchtete, meine Beine würden unter mir nachgeben.
Mich noch immer küssend, schob er mich sanft rückwärts, bis ich mit den Kniekehlen den Rand des Ehebettes berührte. Ich ließ mich darauf sinken, ohne meine Lippen von seinen zu nehmen. Er setzte sich neben mich, doch als er mich sanft nach hinten schob, wich ich ihm aus. Ich richtete mich auf und ordnete das Haar. Jedes einzelne Detail nahm ich glasklar wahr: das süßliche Bourbonaroma in seinem Atem, wie hart sich seine Brust an meiner angefühlt hatte, die Reaktion meines Körpers. Aber auch die Tatsache, dass wir auf dem Bett meiner Eltern saßen, dem Bett, das sie, seit ich mich erinnern konnte, geteilt hatten, das Bett, in dem ich meine Mutter hatte sterben sehen.
Ich stand auf.
» Verzeih mir«, sagte Etienne, der ebenfalls aufstand und seine Weste nach unten zog. » Ich habe mich falsch benommen, Sidonie, es tut mir leid. Es ist schwer, mit dir zusammen zu sein und nicht …« Er hielt inne und blickte mich an, sodass mir abermals heiß wurde.
» Ich mache uns Kaffee«, sagte ich und wandte mich ab, weil ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte.
Doch meine Hände zitterten so sehr, dass die Tassen und Untertassen klapperten, als ich sie aus dem Schrank nahm.
» Ich habe dich verärgert«, sagte Etienne und nahm mir das Geschirr aus der Hand, um es auf den Tisch zu stellen. » Vielleicht sollte ich jetzt besser gehen.«
Ich schüttelte den Kopf und fuhr mit der Fingerspitze über den Rand meiner Tasse. » Nein. Nein, geh nicht. Du hast mich nicht verärgert. Das ist es nicht.« Ich konnte ihn nicht ansehen, doch er legte beide Hände an meine Wangen und zwang mich, ihm ins Gesicht zu schauen.
» Wir werden nichts tun, was du nicht tun möchtest, Sidonie«, sagte er. » Das eben war dumm von mir.
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