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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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sie am meisten sich selbst, obwohl sie auch …« Er unterbrach sich.
    Nach einem Moment des Schweigens, währenddessen Etienne sein Glas leerte, sagte ich: » Natürlich«, als verstünde ich, wovon er sprach, obwohl ich damals von Marokko kaum mehr wusste, als dass es, wie ich in einem Geschichtsbuch über die Besetzung Marokkos durch die Franzosen im Jahre 1912 nachgeschlagen hatte, im nordwestlichen Zipfel Afrikas lag. Zwar erzählte er meist bereitwillig und fröhlich von seinem früheren Leben, doch hin und wieder bemerkte ich auch ein Zögern, als würde Etienne seine Erinnerungen durchsieben nach jenen, die er mit mir teilen wollte. Als gäbe es etwas, was er mir bewusst vorenthielt.
    » Die Männer verlangen also von ihren Frauen, in einem getrennten Bereich zu leben«, fuhr er fort und schenkte sich noch einen Bourbon ein, » wobei es für sie vollkommen normal ist, sich nebenbei Mätressen zu halten – chikhas –, sofern sie es sich leisten können«, fuhr er fort, und seine Miene wirkte unwirsch. » Das Land ist ein einziges Paradox. Einerseits ist es voller Spiritualität, doch der gegenüber steht eine ausgeprägte Sinnlichkeit.«
    » Hast du vor, bald wieder einmal dort hinzureisen? Lebt deine Familie noch in Marokko?«
    » Nein. Nein.« Ich wusste nicht, ob sich sein Nein auf eine oder beide meiner Fragen bezog.
    » Es gibt nichts mehr, weswegen ich hinfahren sollte. Es birgt für mich nur noch traurige Erinnerungen; meine Eltern und mein Bruder Guillaume sind dort begraben. Sie sind innerhalb von drei Jahren gestorben, jedes Jahr ein Todesfall.« Eine Weile schwieg er.
    » Guillaume … hattest du sonst noch Geschwister?«
    » Er war drei Jahre jünger als ich. Wir waren uns überhaupt nicht ähnlich. Er …« Wieder hielt er kurz inne, um dann fortzufahren. » Er ist in Essaouira ertrunken, an der Küste Marokkos. Es war eine schreckliche Zeit. Daraufhin ist meine Mutter über Nacht alt geworden.«
    Ich rief mir das Gesicht meiner Mutter in Erinnerung, das sich über mich beugte, als ich an Polio erkrankt war. Und das Gesicht meines Vaters am Fenster meines Zimmers, dessen Miene seine absolute Hilflosigkeit spiegelte.
    »Und mein Vater war eine Zeit lang sehr krank. Doch für Eltern ist es immer eine Katastrophe, wenn ein Kind stirbt, gleich wie alt es ist, nicht wahr? Weil es wider die natürliche Todesfolge ist.«
    Wieder herrschte Schweigen; ich wusste, dass er noch nicht geendet hatte, und sah ihn abwartend an.
    »Viele Jahre lang machte ich mir Vorwürfe«, fuhr er fort. »Weil ich nicht genügend Zeit mit Guillaume verbracht hatte. Er sah zu mir, seinem großen Bruder, auf, und ich …« Abermals unterbrach er sich, um dann schnell und tonlos weiterzusprechen, als wollte er die Unterhaltung möglichst rasch zu Ende bringen. »Ein Jahr nach Guillaumes Tod starb meine Mutter, und ein Jahr später mein Vater. Nein«, sagte er bestimmt. »Für mich gibt es nichts und niemanden mehr in Marrakesch. Nichts außer traurigen Erinnerungen. Nichts kann mich bewegen zurückzukehren.«
    Ich hatte das Gefühl, es sei besser, keine Fragen mehr zu stellen: Etiennes Stimme war leise und klang düster, und seine Miene hatte sich verfinstert. Und dennoch faszinierte es mich, von diesem im Vergleich zu meinem so ganz anderen Leben zu hören, und jedes Mal, wenn Etienne mich besuchte, hatte ich weitere Fragen.
    Bei seinem nächsten Besuch, nachdem er mich zum ersten Mal geküsst hatte, erkundigte sich Etienne nach den botanischen Zeichnungen und Vogelporträts, die bei mir zu Hause an den Wänden hingen. Ein wenig nervös gab ich zu, dass sie von mir stammten.
    » Das dachte ich mir schon. Sie ähneln vom Stil her den Skizzen in deinem Zeichenblock. Die Bilder sind sehr gut.«
    » Es ist nur ein Hobby«, sagte ich.
    » Willst du mir noch andere Werke von dir zeigen?«
    Ich stand auf, und er folgte mir in mein behelfsmäßiges Atelier – das frühere Schlafzimmer meiner Eltern. Es war mir peinlich, dass ihr Ehebett noch immer an der gegenüberliegenden Wand stand.
    Auf dem Tisch lagen halb fertige Bilder. Am vorigen Tag hatte ich endlich begonnen, den Faulbaumbläuling zu malen, und das Bild war auf der Staffelei neben dem Fenster festgeklammert. Er ging hin und beugte sich darüber, um es in Augenschein zu nehmen.
    » Malst du nichts anderes außer Naturmotive?«
    » Ich male, was ich um mich herum sehe. Im Wald, an den Teichen und in den Sümpfen«, erklärte ich.
    » Deine Bilder sind wirklich sehr schön.«

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