Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Noch mal: es tut mir leid.« Er ließ die Hände sinken und wandte sich von mir ab, und es kostete mich meine ganze Willenskraft, nicht auf ihn zuzugehen und das Gesicht wieder an seines zu schmiegen, und ihm zu sagen, diesmal nicht aufzuhören.
Hatte ich keine Moral? O doch, ich wusste sehr wohl, dass es falsch sein würde, als alleinstehende Frau Etienne in mein Bett zu lassen. Und doch … ich war neunundzwanzig. Er war der erste Mann, der mir Aufmerksamkeit entgegenbrachte, der mir das Gefühl gab, schön und begehrenswert zu sein. Außerdem zwang er mich zu nichts. Ich war es, die ihm zu verstehen gab, dass ich es herbeisehnte. Ich war es, die ihn, nachdem er mich wieder zum Abendessen eingeladen und mich nach Hause gefahren hatte, durch die Haustür zog und mich an ihn presste, ihn küsste, ihm das Jackett abstreifte und ihn in mein Schlafzimmer führte.
Er blieb stehen und sagte: » Sidonie, ich erwarte nicht von dir …«
Ich war es, die die Finger an seine Lippen legte, die flüsternd sagte: » Ich weiß. Ich will es aber«, die seine Hände zu meinen Brüsten führte und seine Finger schließlich zu den Knöpfen meines Kleides.
Natürlich wusste er, dass es das erste Mal für mich war; ich sagte es ihm sogar, sagte ihm, ich wisse nicht, was ich tun solle, er möge es mir zeigen. Er hatte einen straffen, schlanken Körper, und seine Haut fühlte sich heiß und geschmeidig an.
Ich hatte keine Angst, war nicht aufgeregt, sondern blickte einfach nur voller Erwartung zu ihm hoch, während er mich in den Armen hielt und, die Lippen an meinen, murmelte: » Bist du sicher …«, und ich nickte. Er liebte mich, sagte ich mir. Er würde nie etwas tun, was mir wehtat. Ich fühlte mich sicher und umsorgt, auf eine Weise, wie ich es nie gekannt hatte.
» Sag mir, was ich tun soll«, bat ich ihn noch einmal leise und legte die Hände auf seine Hüften, und er zeigte es mir.
Als ich hinterher mit dem Kopf auf seiner Brust dalag und weinte, verstand er es zunächst falsch. Er streichelte meine nackte Schulter und sagte: » Es tut mir leid, es tut mir leid, Sidonie, ich habe dir wehgetan, ich hätte nicht …«
Doch ich unterbrach ihn. » Nein. Du hast mir nicht wehgetan. Ich weiß selbst nicht, warum ich weine, aber ich bereue es nicht. Ich empfinde auch keine Schuld. Es ist …« Ich hielt kurz inne. » Glück, Etienne. Ich bin glücklich. Du hast mich glücklich gemacht. Ich weiß nicht, womit ich dieses Glück verdient habe. Dich verdient habe.«
Einen Moment lang war er still. » Sidonie«, sagte er dann, die Lippen an meinem Haar. » Du bist liebenswert. Du bist stark, eine selbstbewusste Frau, die ein eigenständiges Leben führt. Du bist neugierig und offen. Aber andererseits ist da auch eine Zerbrechlichkeit … Ich wünschte, du könntest dich mit meinen Augen sehen. Manchmal … tu me brises le cœur.«
… brichst du mir das Herz.
Nachdem er gegangen war, sah ich in den Spiegel.
War je eine Frau so glücklich gewesen wie ich, hatte so geliebt, wie in jenem Moment? Gab es einen Mann, der so liebte, der so rücksichtsvoll und so aufrichtig war wie Etienne Duverger?
Schnell fanden Etienne und ich während der nächsten Monate zu einem vertrauten Rhythmus. Über den Herbst und bis in den Dezember hinein verbrachten wir die Abende, an denen er frei hatte – manchmal einmal pro Woche, manchmal zweimal – in meinem Haus in Albany. Wir gingen essen oder zu einem Konzert oder ins Theater, oder wir machten einen Schaufensterbummel in der Stadt. Dann blieb er die Nacht über bei mir, auch wenn er am nächsten Tag früh, wenn es noch dunkel war, wegmusste, um zu seiner Wohnung zu fahren und sich umzuziehen, ehe er zur Arbeit ging. Er bewohnte zwei Zimmer eines Wohnheimes – eine recht einfache Bleibe in der Nähe des Krankenhauses, wie er mir gesagt hatte –, doch sie genügten ihm angesichts der knapp bemessenen Freizeit.
Wenn ich am Morgen nach einer gemeinsam verbrachten Nacht allein aufwachte, blieb ich noch eine Weile im Bett liegen und streichelte Zinnober. Ich spürte einen Hunger auf die Welt, wie ich ihn nie zuvor gekannt hatte. Ich konnte es kaum abwarten aufzustehen, denn ich hatte auch einen physischen Hunger, der mir ebenfalls unbekannt war. Zum Frühstück bereitete ich mir eine große Portion Rühreier mit Speck und Toast zu und trank dazu drei Tassen Kaffee. Dann legte ich eine von Vaters Platten auf und summte zur Musik, während ich abwusch. Mit einem Mal hatte die Musik für mich eine
Weitere Kostenlose Bücher