Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
erstaunte mich nicht, dass auf dem Wasser Rosenblätter trieben. Holztäfelungen in den verschiedensten Schattierungen, von Hellgelb bis zu dunklem Mahagoni, zierten die Wände. Im sanften Licht der Wandleuchter schimmerte das Holz weich.
» Madame?« Ein großer, dünner Page mit der Andeutung eines Schnurrbarts trat zu mir. Auch er trug die in Rot und Gold gehaltene Hoteluniform und weiße Baumwollhandschuhe. » Sie wollen in Speisesaal?«
» Ja, bitte.«
Er reichte mir den Arm, und ich legte die Hand in seine Armbeuge. Mit seinen langen Beinen marschierte der junge Mann beherzt los, blieb jedoch stehen, als er mein kurzes Zögern bemerkte, und blickte auf meine Schuhe. Dann senkte er kaum merklich den Kopf, eine verständnisvolle Geste, und ging langsam weiter, sodass ich mit ihm problemlos Schritt halten konnte.
An der Tür des Speisesaals blieb er stehen und sprach leise mit dem Maître d’hôtel, einem weiteren attraktiven jungen Mann. Er hatte das Haar mit Brillantine zurückgekämmt und trug einen Smoking, einen burgunderroten Kummerbund und weiße Handschuhe.
» Ihr Name, Madame?«, fragte er und nickte, nachdem ich ihn ihm genannt hatte, dem Pagen zu, bei dem ich mich noch immer eingehakt hatte.
Ein Blick in den Saal genügte, um zu wissen, dass meine Garderobe in jeder Hinsicht ungenügend war. Die Herrn trugen schwarze Anzüge oder Smokings und die meisten Frauen lange Abendkleider aus Satin und Tüll. Ihre Frisuren waren entweder kurz und gewellt oder aber kunstvoll hochgetürmt, und an ihren Hälsen und Handgelenken glitzerten Juwelen.
In meinem zerknitterten grünen Seidenkleid stand ich in der Tür, und Strähnen meines noch feuchten Haars hatten sich aus den Haarnadeln gelöst und fielen mir in den Ausschnitt und über die Ohren. Ich kam mir schäbig vor, wusste, dass jedes Detail meiner Erscheinung fehl am Platz war. Doch der junge Mann an meiner Seite schenkte mir ein liebenswürdiges Lächeln und sagte: » Kommen Sie, bitte, Madame«, und von seinem Lächeln ermuntert, hob ich das Kinn und ging neben ihm her durch den Saal. Den Blick hielt ich starr geradeaus gerichtet auf den dunkler werdenden Himmel, der durch die hohen, offenen Fenster zu sehen war. Ich war froh, dass der Page mich nicht inmitten der anderen Gäste platzierte, sondern mich zu einem kleinen Tisch neben einem Fenster führte, durch das man auf den üppigen Garten blickte. Er zog den Stuhl für mich heran, und ich setzte mich auf die mit burgunderrotem Samt bezogene Sitzfläche. Leises Geplauder und Lachen erfüllten den Saal, durchbrochen von dem Klirren von Silberbesteck an Porzellan und den sanften Harfenklängen, die aus einer Ecke zu vernehmen waren. Doch inmitten dieser formellen und äußerst gezwungenen Atmosphäre nahm ich ein fernes, gedämpftes Dröhnen und rhythmisches Trommeln wahr, das von jenseits des Gartens hereindrang.
Ich nippte an dem Mineralwasser, das ein Kellner mir einschenkte, kaum hatte ich mich gesetzt. Dann wählte ich ein einfaches Ratatouille von der umfangreichen Speisekarte, die weitere weiß behandschuhte Hände vor mich hinhielten, und blickte schließlich aus dem Fenster.
In der Abenddämmerung machte ich unzählige Bäume und hohe, blühende Büsche aus, zwischen denen sich Fußwege wanden. Am hinteren Ende des Gartens stand eine hohe, von Bougainvilleen bewachsene Mauer. Und jenseits der Mauer bot sich die Ansicht von schneebedeckten Berggipfeln, die denen auf den Ölgemälden in meinem Zimmer glich: der Hohe Atlas. Die Luft duftete angenehm, und Vogelgezwitscher war zu hören.
Die Kulisse war so unglaublich schön, dass ich einen Moment lang den Zweck meines Aufenthalts in Marrakesch vergaß.
Als ein Kellner murmelte: » Ein Hors d’œuvre, Madame«, wurde ich aus meiner Verzauberung gerissen. » Bon appétit«, sagte er und stellte einen Teller mit winzigem Blätterteiggebäck vor mich hin. Ich kostete ein Teilchen, dessen Geschmack mich an die pastilla erinnerte, die ich in Tanger gegessen hatte. Der aus der Ferne erklingende rhythmische Lärm, der wie ein pulsierender Herzschlag anmutete, nahm an Lautstärke zu. Ich blickte mich in dem gedämpft beleuchteten, wohl duftenden Saal um, doch niemand sonst schien es zu bemerken.
» Entschuldigen Sie«, sagte ich schließlich zu dem Paar am Nachbartisch. » Was ist das für ein Geräusch?«
Der Mann legte Messer und Gabel auf den Tisch. » Der Lärm kommt vom Hauptplatz der Medina – der Altstadt von Marrakesch«, antwortete er
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