Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
mit britischem Akzent. » Djemma el Fna. Ein interessanter Ort. Ich nehme an, Sie sind gerade erst angekommen?«
» Ja.«
» Nun, Sie sollten der Medina auf jeden Fall einen Besuch abstatten. Der Teil von Marrakesch, in dem wir uns befinden – la Ville Nouvelle –, hat keinerlei Ähnlichkeit mit der Altstadt. Hier wurde seit der französischen Übernahme alles neu erbaut. Aber der Djemma el Fna, nun …« Sein Blick wanderte zu dem einzigen Gedeck des Tisches vor mir, dann wieder zu meinem Gesicht zurück. » Es heißt, es sei der größte Souk in ganz Marokko und jahrhundertealt. Doch ich würde Ihnen nicht empfehlen, ihn, oder überhaupt die Altstadt, ohne Begleitung aufzusuchen. Wenn Sie erlauben, würde ich mich und meine Frau Ihnen gern vorstellen.« Er stand auf und machte eine kleine Verbeugung. » Mr Clive Russell. Und Mrs Russell.« Er deutete mit der Hand auf die große, schlanke Frau mit dem Alabasterteint, die ihm gegenübersaß. Ihren langen, makellosen Hals schmückte eine dünne Kette mit funkelnden, goldgefassten Rubinen.
Ich stellte mich ebenfalls vor, und Mrs Russell nickte. » Mr Russell hat recht. Die Medina ist wirklich angsteinflößend, ganz besonders dieser Platz. Dort habe ich Dinge gesehen, die man nirgends zu sehen bekommt. Schlangenbeschwörer mit ihren Tieren, aggressive Affen, Feuer- und Glasschlucker. Und überall grässliche Bettler, die an einem zerren. Und wie die Männer einen anstarren … mir lief es kalt den Rücken herunter. Ein Besuch hat mir gereicht, obwohl Mr Russell an meiner Seite war«, sagte sie.
» Djemma el Fna heißt übrigens › Versammlung der Toten‹ oder › Bruderschaft der Verstorbenen‹ – ein grausiger Name«, fuhr Mr Russell fort, indem er sich wieder setzte und sich auf dem Stuhl leicht zu mir umdrehte, um sich weiter mit mir unterhalten zu können. » Früher wurden auf dem Platz Totenköpfe aufgehängt, eine Art Warnung an die Lebenden. Doch die Franzosen haben dem ein Ende bereitet.«
» Gott sei Dank«, sagte Mrs Russell.
» Sind Sie schon lange in Marrakesch?«, fragte ich.
» Seit ein paar Wochen«, erwiderte Mr Russell. » Aber inzwischen ist es viel zu heiß, und wir reisen nächste Woche ab. Weiter nach Essaouira, wo wir den erfrischenden Seewind genießen können. Waren Sie schon dort?«
Ich schüttelte den Kopf. Der Name ließ mich erschrocken aufhorchen, denn in Essaouira war Etiennes Bruder Guillaume im Atlantik ertrunken.
» Es ist ein hübsches Küstenstädtchen«, fügte Mrs Russell hinzu. » Berühmt für seine thuya -Schnitzereien und -Möbel. Ein einziges Möbelstück reicht, und sein Duft verbreitet sich im ganzen Haus. Ich würde gern einen kleinen Tisch kaufen und nach Hause schicken lassen. Finden Sie diese Inneneinrichtung nicht auch wundervoll? Ich komme mir wie in einem Paschapalast vor.«
» Sie sind während Ihres Aufenthalts hier nicht zufällig Dr. Duverger begegnet?«, fragte ich, ohne auf Mrs Russells Frage einzugehen. Das Hotel wurde offenbar von wohlhabenden Ausländern aufgesucht, vielleicht hatte also auch Etienne hier gewohnt. Oder war noch immer hier. Mein Herzschlag beschleunigte sich, und ich blickte mich im Saal um.
» Wie hießt noch mal der Arzt, den wir im Zug kennenlernten?«, hörte ich Mrs Russell zu ihrem Mann sagen, und ich wandte mich wieder dem Paar am Nebentisch zu.
Mr Russell schüttelte den Kopf. » Der hieß Dr. Willows. Tut mir leid. Einen Dr. Duverger kennen wir nicht. Aber fragen Sie doch am Empfang, wenn Sie glauben, dass er hier ist.«
» Danke, das werde ich.« Mir war nicht in den Sinn gekommen, den aufgeblasenen Monsieur Henri zu fragen, ob kürzlich ein Dr. Duverger hier abgestiegen war. Warum war mir nicht einmal diese einfache Frage eingefallen? Doch bei meiner Ankunft war ich wie im Schockzustand gewesen, und meine Benommenheit war noch immer nicht ganz verflogen.
» Dieser Garten …« Ich machte eine ausladende Handbewegung zum Fenster.
» Früher war es einmal ein Park«, erklärte Mr Russell, ehe ich dazu kam, meinen Satz zu beenden. » Außerhalb der Stadtmauern der Medina gibt es eine Reihe herrlicher Gärten. Offensichtlich war es der Brauch des herrschenden Sultans, seinen Söhnen zur Hochzeit ein Haus mit Garten außerhalb der Medina zu schenken. Viele der französischen Hotels wurden inmitten dieser ehemals königlichen Gärten erbaut. Dieser Garten erstreckt sich über mehrere tausend Quadratmeter. Sie müssen später unbedingt einen Spaziergang darin machen,
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