Der Duft von Tee
faszinierend, obwohl er sich uns jeden Tag bietet. Durch den Smog verblasst die Sonne eher, als dass sie untergeht. Kinder spielen in dem Freizeitbereich des Wohnkomplexes unter uns Basketball; ich beobachte, wie ein Wurf nach dem anderen danebengeht.
»Alles okay im Lillian’s?«
»Ja. Alles bestens.«
Pete nickt. Ermutigend.
»Gigi war heute da«, beginne ich unbeholfen, doch ich will unbedingt mit ihm reden. Wir haben uns versprochen, von jetzt an mehr miteinander zu teilen.
»Wirklich? Wie geht es ihr?«
»Willst du eine ehrliche Antwort? Nicht gut. Ich mache mir solche Sorgen um sie, Pete. Frank, Faiths Vater, hat sie verlassen, und ihre Mutter scheint furchtbar zu sein. Sie droht damit, sie und Yok Lan vor die Tür zu setzen, wenn Gigi nicht wieder im Casino arbeitet.« Ich atme tief durch. »Kein Wunder, dass Gigi so wütend war.« Pete trinkt einen Schluck Wein und runzelt die Stirn. »Sie hat Talent, Pete, das weiß ich genau. Und das soll ihr jetzt einfach genommen werden?«
»Es wird nicht leicht für sie. Ein Baby ohne Vater. Keine Unterstützung. Und dann die chaotische Wirtschaftslage …« Seine Stimme verliert sich.
Ich nicke, es werden harte Zeiten. Sie sind bereits hart. »Ich wünschte, ich könnte etwas tun. Ihr helfen. Faith helfen. Yok Lan. Das ist ein solches Chaos, und Gigi ist ein gutes Mädchen, wirklich. Knallhart, aber herzensgut und … ich weiß nicht …«, ich halte inne, werde mir seiner Aufmerksamkeit bewusst. Seine Augen sind so dunkel im Dämmerlicht. »Ich weiß nicht, wie ich ihr helfen kann«, schließe ich. Ich bin den Tränen nahe.
Einen Moment lang sagt er gar nichts. Wir sehen beide auf den Basketballplatz hinunter.
»Sie wird dir schon sagen, was sie braucht, wenn sie so weit ist. Möglicherweise gibt es im Moment nicht so viele Menschen, mit denen sie reden kann. Möglicherweise braucht sie jetzt genau das: jemanden, der zuhört.«
Als er das sagt, wirft einer der Jungen den Ball in den Korb. Die Kinder jubeln, springen herum und umarmen einander. Der Junge läuft im Kreis und schwenkt triumphierend die Faust.
»Vielleicht hast du recht«, antworte ich. Ich will, dass sich meine Sorgen um Gigi und Faith und Yok Lan auf dem Boden meines Gehirns setzen wie der Satz in meinem Weinglas.
Ich sehe wieder zu Pete hinüber. Er wölbt den Fuß, sodass seine Zehen gegen meine drücken. Auf seinen Socken sind Schweißflecken, und ich spüre, wie meine Füße feucht werden. Ich verziehe angewidert das Gesicht, und er grinst. Wir drehen uns wieder zu dem Basketballplatz um und sehen, wie die Jungen die Köpfe hängen lassen. Mama ruft sie nach Hause. Sie sagt etwas auf Kantonesisch, das wir nicht hören können, streckt den Finger aus, und alle marschieren in die gezeigte Richtung davon.
»Sei einfach ihre Freundin, Grace«, sagt Pete leise.
Les Sœurs – Die Schwestern
Pfefferminz mit einer Ganache aus dunkler Schokolade
Ein paar Tage später bringt mich Rilla, als ich es am nötigsten brauche, in der Küche zum Lachen. Es ist kurz vor Geschäftsschluss, und ich mache mir noch immer Sorgen um Gigi, als sie meine Gedanken unterbricht, indem sie das Radio einschaltet und mit dem Wischmopp zu tanzen beginnt. Sie wackelt unter der Schürze mit den Hüften und klopft mit den Füßen auf den Boden. Bevor ich in Gelächter ausbreche, muss ich wohl ernst geguckt haben, denn sie zwinkert mir zu, als wollte sie sagen: »So ist es besser«. Ich schüttele den Kopf. Ihr Tanztalent steht ihrer Singstimme in nichts nach. Beide lassen zu wünschen übrig, bringen mich aber immer zum Lachen. Das macht mir bewusst, wie glücklich ich doch bin, dass sie zu meinem Leben gehört, jeden Tag, hier im Lillian’s. Ich lächle sie dankbar an. Als das Telefon klingelt, schrecken wir beide hoch. Rilla stellt das Radio leiser, als ich aus der Küche laufe, um ranzugehen. Marjory klingt atemlos und gehetzt.
»Grace, ich bin’s. Ist Rilla da?«
Rilla kommt aus der Küche, und unsere Blicke begegnen sich.
»Sie ist hier. Alles klar?«
»Wir müssen vorbeikommen und sie abholen. Es geht um Jocelyn.«
»Jocelyn?«
Rilla holt schnell ihre Jacke und ihre Tasche. Ich bin plötzlich sehr nervös.
»Wir müssen sie aus dem Frauenhaus holen«, fährt Marjory fort. »Wir glauben, dass ihre Arbeitgeber wissen, wo sie ist, und wir sollten sie für alle Fälle in Sicherheit bringen. Sonst sind sie und die anderen Frauen in Gefahr. Vielleicht sind wir ja übervorsichtig, aber …« Ich höre, wie ein
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