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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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seiner Karriere mit nach China gekommen, weil ich an ihn und seine Fähigkeiten geglaubt habe.
    »Wie gesagt, für mich sieht es so aus, als hättest du dich bereits entschieden«, fährt er fort. »Also warum fragst du mich überhaupt?«
    Ich hebe das Kinn. »Na ja, habe ich auch gar nicht.«
    »Was hast du nicht?«
    »Ich habe dich nicht gefragt«, sage ich und sehe ihm in die Augen. Meine Stimme ist ganz leise, doch als sie jetzt aus meiner Kehle strömt, hört sie sich so entschlossen an, dass ich von mir selbst überrascht bin.
    Petes Augen werden groß. »Na schön. Du hast also bereits alles in die Wege geleitet.« Er steht auf, wütend, gießt den letzten Rest Wein in das Glas. Er blickt auf mich hinunter, bevor er in die Küche geht. »Dann will ich dir nicht im Weg stehen. Mach, was du willst.«
    Ich höre, wie er das Glas in die Spüle stellt, der Fuß knallt auf das Metall. Ich bin verunsichert von dem Streit und habe ein mulmiges Gefühl im Magen. Pete kümmert sich immer um unsere Finanzen und hat das letzte Wort bei unseren Entscheidungen, eine Tatsache, die mich nie groß gestört hat. Bis jetzt. Diesmal muss es anders laufen. Tief unter diesem komischen Gefühl im Magen spüre ich eine Entschlossenheit und Ruhe angesichts dieser Erkenntnis; gleichgültig, ob das Geschäft ein Erfolg wird oder nicht, ich muss es versuchen.
    Pete läuft durch das Wohnzimmer, ohne mich anzusehen, verschwindet in seinem Arbeitszimmer. Ich höre, wie er sich auf seinen Stuhl fallen lässt, dann ein Piepsen und Surren, als er den Computer hochfährt. Die Titelmusik der Homepage einer Sportwettenseite. Die Stuhlräder ächzen auf den Bodenfliesen, als er sich näher an den Bildschirm setzt. Ich atme ein paarmal tief durch, bis ich wieder diese süße, tiefe Ruhe spüre. Dann wende ich mich dem dunklen Fenster zu, beobachte den konstanten Strom der Kunden, die in den Läden ein und aus gehen, und die sanften, leuchtenden Straßenlampen, die an den Laternenmasten in der Mitte der Straße schaukeln. Dort draußen, in der Nacht, liegt der Platz, aus dem einmal ein Park werden soll. Ich kann nur die Konturen eines einzelnen Baums erahnen, wie ein einsames Ausrufezeichen.
    Liebste Mama,
    sie haben einen Baum gepflanzt. Ich glaube, das ist ein Experiment. Sie fangen mit einem Baum an und sehen dann, wie es sich entwickelt. Vielleicht fehlt es ihnen an Optimismus. Vielleicht befürchten sie, dass er bald eingehen wird. Vielleicht hoffen sie auch darauf. Ich finde es schön, dass sie ihn in der Mitte des Platzes gepflanzt haben. Nicht an der Seite, wo er sich irgendwann erschöpft gegen die Einzäunung lehnen wird, müde von der Einsamkeit. Nicht in eine der Ecken. Sondern – klatsch – in die Mitte, als wollten sie sagen: »So, bitte schön. Jetzt sieh zu, wie du zurechtkommst.« Ich habe den Eindruck, es wäre ihnen lieber, er würde eingehen. Ich habe den Eindruck, es wäre ihnen sehr viel lieber, wenn sie der Stadtverwaltung berichten könnten, dass sich das ganze verdammte Ein-Baum-Experiment als Fehlschlag erwiesen hat und dass sie jetzt beruhigt alles betonieren und einen Parkplatz daraus machen können.
    Aber das ist jetzt eine Woche her, und der Baum steht noch immer. Heute Morgen hätte ich ihm beinahe zugewunken. Ich habe gelächelt, immerhin. Breit gelächelt. Ich bin verblüfft, dass mein Gesicht nicht vor Schreck in zwei Teile zersprungen ist. Jetzt müssen die Schatten der Wolken, die über den leeren Platz kriechen, über den Baum klettern. Die Landschaft ist plötzlich dreidimensional. Ich stelle mir vor, dass die Schatten wie alte Damen ihre Röcke lüpfen müssen, um über den unbequemen Baum zu steigen. Ich höre sie fluchen und jammern, als sie die rostigen Knie und die schweren Petticoats anheben. Es gefällt mir, dass der Baum für alle ein solches Ärgernis ist. Für die, die ihn gepflanzt haben, für die Schatten, die ihn überwinden müssen. Manchmal glaube ich, dass ich diesen Baum mehr liebe als meinen Mann. Er gibt mir Mut. Und Entschlossenheit.
    Deine dich liebende Tochter
    Grace
    In der Backstube ist es kälter, als ich gedacht habe, und es riecht köstlich, süß und knackig wie der Biss in einen Apfel. Die Wände sind weiß gefliest, und fast alles ist aus Edelstahl. Nicht wenige chinesische Köche sind hier fleißig bei der Arbeit. Sie sehen überhaupt nicht gehetzt aus, sondern gehen gewissenhaft ihren Aufgaben nach. Ein Koch holt Pralinen aus ihren Formen und taucht sie in eine Schale mit

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