Der Duft von Tee
sein.«
Natürlich hat er recht; sie sind perfekt. Das Erste, das ich probiere, ist aus dunkler Schokolade mit einem Kern, der härter ist, als ich es erwartet habe, aber in Sekundenschnelle auf der Zunge zergeht. Das zweite ist ein Erdbeer-Macaron. Die Ganache bewahrt Rauheit und Konsistenz der Frucht. Die Marzipanrohmasse ist hier kräftiger, nussiger, in Kombination mit dem Erdbeeraroma schmeckt sie nach Herbst. Zum Schluss kommt ein Passionsfrucht-Macaron. Ich weiß, dass Boden und Deckel geschmacklos sind, doch noch bevor ich es in den Mund stecke, kommt es mir vor, als wäre das ganze Macaron – die Schalen, die Ganache, der Duft – von der Würze der Passionsfrucht erfüllt: säuerlich auf der Zunge, um dann mit einer schweren Süße abzuschließen. Der Duft des Passionsfrucht-Macarons ist mit einem Lilienstrauß vergleichbar, intensiv und exotisch. Ich schließe eine Sekunde die Augen und genieße.
»Und, was meinen Sie?« Er steht so nahe bei mir, dass ich sehen kann, dass die Farbe seiner Augen zu den kornblumenblauen Initialen passt, die in sein weißes Kochhemd gestickt sind.
»Wundervoll. Einfach herrlich.« Ich lächle ihn an, trunken von dem Geschmack der göttlichen Macarons. Er grinst undsieht auf den leeren Teller hinunter. Ich schlucke schwer und spüre mein Herz ein paar Schläge überspringen.
»Schön, das hatte ich gehofft.« Er lächelt.
Liebste Mama,
vielleicht bin ich eine schamlose Hure.
Ich weiß, dass dich das zum Lachen bringen würde. Doch es könnte stimmen. Ich kann nicht aufhören, an einen Mann zu denken, der verheiratet ist. Und ich bin verheiratet. Wir sind beide verheiratet, aber nicht miteinander, was bedeutet, dass diese Gedanken lasterhaft sind, oder?
Mama, er hat einen Akzent wie süßer, rauchiger Karamell, der einem auf der Zunge zergeht. Ich komme mir so albern vor, selbst wenn ich nur an ihn denke. Léon. Léon. Léon. Es ist diese weiche, fließende Endung, die ich immer wieder wiederholen könnte. Und, ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, doch er sieht wie Paris aus.
Mama, erinnerst du dich an den Empfangschef in diesem Hotel damals? Du weißt schon – diese gottverdammte Bruchbude, die nach nassen Hunden und altem Teppich gerochen hat. Wie wir an jenem Abend Sandwiches auf unserem Zimmer gegessen und französisches Fernsehen gesehen haben und du mir über die Haare gestrichen hast? Sie war so grauenhaft, diese Absteige, Mama; unglaublich, dass wir dort geblieben sind. Obwohl wir einen Blick auf den Eiffelturm hatten – von der Größe eines Pizzastücks. Aber du warst ja immer so furchtbar romantisch.
Dieser Empfangschef dort, vielleicht war er die erste Liebe meines Lebens. Antoine. Der schöne, sanfte, süße Antoine. Erinnerst du dich an ihn? Mit den kaffeebraunen Augen? Vielleicht erinnerst du dich nicht. Er hat sogar am letzten Abend ein Auge zugedrückt, als wir die Rechnung nicht ganz bezahlen konnten. Er muss Mitleid mit uns beiden rothaarigen englischen Mädchen gehabt haben. Er war so nett zu uns, und er hat sogar eine Sekunde lang meine Hand gehalten, als er uns zum Abschied geküsst hat, und ich habe gedacht, ich würde gleich ohnmächtig werden oder mir in die Hose machen oder sonst etwas Grauenhaftes und Blamables würde passieren. Léon und Antoine. Französische Männer. Ihre Seelen sind aus demselben Regenbogen gemacht.
Mama, ich bin mit einem guten Mann verheiratet, und ich muss aufhören, solche Gedanken zu denken.
Deine dich liebende Tochter
Grace
P.S. Mama, er ist Koch.
Raiponce – Rapunzel
Bergamotte und Kardamom mit einer Ganache aus weißer Schokolade
Grace Miller besitzt ein Café. Ich habe meine Unterschrift auf die Papiere gesetzt – es ist vollbracht. Das ging alles so viel schneller, als ich es erwartet hätte, und es fühlt sich an, wie wenn einem jemand einen Zahn zieht oder sehr schnell ein Heftpflaster von der Haut reißt. Ist das der Schock? Ich wollte es doch so, oder nicht? An manchen Tagen bin ich mir da gar nicht mehr so sicher. Jetzt habe ich also ein Café. Oder vielleicht sollte ich sagen, jetzt habe ich ein riesiges, staubiges Chaos, das einmal ein portugiesisches Restaurant war und das ich in den nächsten Wochen irgendwie in ein Café verwandeln muss. Ich brauche ein Glas Wein.
Draußen vor dem Fenster wabert dichter Nebel zwischen den Wohnhäusern. Er nimmt einem die Luft und legt sich auf die Haut wie Schweiß, ein seltsames und irritierendes Gefühl. Ich beobachte, wie er milchig in und um
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