Der Duft von Tee
letzten Monat gerade mal fünf Minuten miteinander verbracht. Ich sehe mich im Lillian’s um – die Tische müssen abgewischt, die Abrechnung muss gemacht und die Espressomaschine gereinigt werden. Das Geschirr kann über Nacht auf dem Gestell trocknen, aber es ist noch viel zu tun. Rilla beobachtet, wie ich auf meiner Lippe herumkaue und dabei die schmutzigen Tische betrachte.
»Du musst nicht hierbleiben, Grace, wir können doch abschließen.«
»Nein, nein, Marjory wird das schon verstehen, wir können an einem anderen Tag hingehen …«
»Nein, lass uns das machen. Geh ruhig. Ich kenne mich hier aus, es wird schon klappen.« Sie berührt mich leicht am Rücken und geht in die Küche.
Ich höre Gigi über dumme Männer lamentieren und dass manche Typen denken, sie könnten sich wohl alles erlauben, und was sie diesem Fettsack am liebsten gesagt hätte. Ich gehe mit einem Tuch zu den von den Macaronkrümeln klebrigen Tischen. Unter der Schürze trommeln meine Finger gegen mein Hosenbein und berühren die gewohnten Konturen des Handys in der Tasche. Ich könnte Marjory anrufen und fragen, ob wir es verschieben, ob wir ein anderes Mal hingehen können. Rillas fröhliches Lachen dringt aus der Küche. Als ich mich umdrehe, sehe ich sie in dem kleinen Fenster.
Ich wische den letzten Tisch ab. »Rilla?«, rufe ich in die Küche.
Sie sieht auf, die Handschuhe tief im Spülbecken.
»Ich möchte, dass ihr beiden heute abschließt, wenn das okay ist.«
Sie nickt und lächelt.
»Danke.«
Ich eile nach Hause, atme die erfrischende Luft der Dämmerung ein. Ich liebe den Zirkus – Zuckerwatte, Clowns mit bemalten Gesichtern, zu laute Musik, zu leuchtende Farben. Er erinnert mich an Mama. Aber ich hatte ihn ganz vergessen, bis Rilla mich daran erinnert hat. Der Tag war ein Chaos aus zerbrochenen Tassen, mit Buttercreme und Ganache verschmierten Tellern und dem Auspacken und Einräumen von Lieferungen. Gigi war unsere Rettung; anscheinend kümmert sie sich gerne um die Lieferanten – und um alle anderen, die herumkommandiert werden müssen. Und sie liebt Macarons. Es steht ihr in ihr junges Gesicht geschrieben. Sie stellt mir Hunderte von Fragen, wie sie gemacht werden, woher die Rezepte kommen, wie sie in Paris schmecken. Sie und Rilla finden langsam zu einem eigenen kleinen Team zusammen, in dem jede das tut, was sie am besten kann. Es gibt noch immer tausend Dinge zu erledigen, wir sind alle drei gut mit Arbeit eingedeckt. Jeden Tag, wenn ich nach Hause gehe, bin ich von Kopf bis Fuß mit einem salzigen Schweißfilm überzogen. Das Lillian’s frisst nicht nur meine gesamte Zeit, sondern auch all meine Gedanken. Mein Kopf ist ein übervoller Koffer mit Rezepten, Terminen, To-do-Listen, Zeitplänen, und dann noch die Verabredung mit Don und Marjory, der Zirkus … Das Letzte, was ich in meinen Kopf hineinstopfe, scheint oft als Erstes wieder herauszufallen.
Als ich wie ein wirbelnder Derwisch durch die Wohnungstür stürme, sitzt Pete auf der Couch und blättert in einer Zeitschrift. Er trägt Jeans und ist ausgehfertig. Im Dämmerlicht kann ich sein Gesicht nur undeutlich erkennen.
»Entschuldige, entschuldige, der Tag war heftig – verrückt . Ich bin gleich fertig«, rufe ich und eile ins Schlafzimmer zu meinem Schrank. Auf dem Heimweg habe ich mir bereits überlegt, was ich heute Abend anziehen werde, sodass ich mich nur in eine Jeans zwängen und mir eine weiße Leinenbluse überwerfen muss. Ich danke dem Himmel, dass sie schon gebügelt ist. Die Nachtluft dringt durch das Leinen auf meine Haut und kühlt mich ab. Ich fluche, als das Deo durch den Stoff dringt und einen kleinen Fleck unter jedem Arm hinterlässt, doch ich habe keine Zeit, mir etwas anderes anzuziehen. Ich hole meine silbernen Ohrringe heraus, fische die silbernen Sandalen hinten aus dem Schrank. Ich schätze, ich habe acht Minuten gebraucht, um fertig zu werden. Fast die gleiche Zeit, die eine geschmeidige Ganache für ein Macaron braucht.
»Okay, ich bin so weit.« Ich lächle meinen Mann an.
Als er aufblickt, sehe ich, dass sein Gesichtsausdruck nicht wütend, sondern nur müde ist. Seine Wangen sind aschfahl, sein linkes Auge blutunterlaufen; er hat offensichtlich daran gerieben. Er sieht völlig fertig aus.
»Gut, Liebes. Du bist sehr hübsch. Anders«, murmelt er.
»Danke – wahrscheinlich liegt es an der Jeans, sie sitzt inzwischen wirklich eng. Die ganze Woche über habe ich Mengen von meiner Version von Hermés Ispahan in mich
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