Der Duft
die Tastatur.
»O Gott!«, rief Meerbusch. »O mein Gott!«
Konstantin wandte sich zur Tür um. Seine geweiteten Augen blickten verständnislos.
Endlich löste sich Marie aus ihrer Starre. »Was hast du getan!«, rief sie.
Konstantin sah auf das blutige Glasgefäß in seiner Hand. Er ließ es auf den Teppichboden fallen, wo es zersplitterte.
Marie stürzte zu Rico. Eine hässliche Wunde klaffte an seinem Schädel, am Haaransatz über der Stirn. Er war bewusstlos, atmete
aber noch. Sie wandte sich an Meerbusch. »Rufen Sie einen Krankenwagen, schnell!«
Die Sekretärin, die erschrocken in der Tür stehen geblieben war, rannte den Flur entlang.
Konstantin schien unter Schock zu stehen. Er setzte sich auf einen Stuhl, barg sein Gesicht in den Händen und sagte kein Wort.
Marie wusste nicht, was sie machen sollte. Sie hatte vor langer Zeit einen Erste-Hilfe-Kurs mitgemacht, aber dort hatte man
ihr nichts darüber beigebracht, wie man mit einer klaffenden Schädelwunde umging. Sie zog ihr Jackett aus, faltete es zweimal
und legte es auf den Boden. Als sie sich über Ricos leblosen Körper beugte, nahm sie den schwachen, leicht süßlichen Geruch
seines Aftershaves wahr, wie von einem exotischen Gewürz. Sie griff ihm behutsam unter die Arme, zog ihn von seinem Stuhl
und brachte ihn in die stabile Seitenlage. Seinen verletzten Kopf bettete sie vorsichtig auf das Jackett. Dann sprach sie
ihn |86| an, wie sie es in dem Kurs gelernt hatte: »Rico! Rico, kannst du mich hören?«
Er reagierte nicht.
Sie unterdrückte den Impuls, ihn an der Schulter zu rütteln. Stattdessen beugte sie sich über ihn und umfasste sein Handgelenk.
Der Puls war regelmäßig, sein Atem schwach, aber wahrnehmbar. Ein dünnes Rinnsal tropfte von der Wunde an seiner Stirn herunter,
aber es war kein lebensbedrohlicher Blutverlust.
Mehr konnte sie nicht tun. Sie richtete sich auf und wandte sich zu Konstantin um, der die ganze Zeit wie erstarrt dagesessen
hatte und sie noch immer verständnislos ansah.
»Was ist passiert?«, rief sie, obwohl das mehr als offensichtlich war. Rico und Konstantin mochten sich nicht, das war von
Anfang an klar gewesen. Aber dass der Streit zu einer solch blutigen Auseinandersetzung eskalieren würde, hätte sie nicht
für möglich gehalten. Dass ausgerechnet Konstantin Rico so brutal niedergestreckt haben sollte, war ihr unbegreiflich.
Konstantin nahm die Hände vom Gesicht, schüttelte jetzt langsam den Kopf. »Ich … ich …«, begann er.
Marie spürte Panik in sich aufkeimen. Was sollte sie nur tun? Sie schloss kurz die Augen und atmete mehrmals tief ein und
aus. Ruhig bleiben. Nur nicht die Kontrolle verlieren. Niemals die Kontrolle verlieren.
Sie schlug die Augen wieder auf und sah einen braunen Umschlag auf Ricos Schreibtisch liegen. Er war wohl erst heute Morgen
abgegeben worden. Dann ging die Tür auf, und Meerbusch stürzte mit zwei Männern herein, offenbar Angestellte von Olfana. Der
eine trug einen weißen Kittel und hatte einen Verbandskasten in der Hand. Die dunkle Uniform des anderen wies ihn als Mitarbeiter
des Werkschutzes aus.
|87| Der Mann im Kittel beugte sich über Rico und fühlte dessen Puls mit professioneller Miene.
»Wie schlimm ist es?« Marie war erleichtert, dass ihr jemand die Verantwortung für Ricos Zustand abnahm.
»Kann ich noch nicht genau sagen. Ein Krankenwagen wird gleich hier sein. Der Schädel muss geröntgt werden, um zu sehen, ob
ein Bruch vorliegt. Aber sein Zustand scheint einigermaßen stabil zu sein. Was ist eigentlich passiert?«
»Ich … ich habe ihn … geschlagen«, sagte Konstantin. Er klang verwundert.
»Bleiben Sie, wo Sie sind«, befahl der Mann vom Werkschutz. Er war nicht bewaffnet, hatte aber eine sehr kräftige Statur,
die keinen Zweifel daran ließ, dass er Konstantin notfalls überwältigen konnte. »Die Polizei wird gleich hier sein.«
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|88| 9.
»Kann ich Sie einen Moment sprechen?«
Harrisburg sah von seinem Computerbildschirm auf, der eine Website mit neusten Erkenntnissen der Aggressionsforschung zeigte.
Panicek stand in der Tür zu dem engen Büro. Das einzige Fenster gab den Blick auf den ausgedehnten Gebäudekomplex des Hauptquartiers
des INSCOM, des Intelligence and Security Commands der US Army in Fort Belvoir, Virginia frei.
Paniceks Abteilung für Psychologische Aufklärung war eigentlich dafür zuständig, Persönlichkeitsprofile der gegnerischen Kommandeure
zu erstellen. So
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