Der Duft
Flecken
in die Landschaft warf, die langsam durch das Tal wanderten.
Der Anblick war atemberaubend schön. Ein langgestreckter See lag glitzernd vor ihnen, durchsetzt von zahlreichen kleinen Inseln,
die im Sonnenlicht aufglühten wie Smaragde. Die mächtigen Gipfel des Virunga-Massivs am anderen Ufer waren von Wolken verhüllt,
die sie umso majestätischer erscheinen ließen.
»Wow!«, sagte Rafael.
Ohne die Fahrt zu verlangsamen, drehte der Fahrer sich zu ihnen um. »This Lake Mutanda«, erklärte er. »Very beautiful!« Marie
konnte ihm nur zustimmen.
Das Hotel lag sehr idyllisch am Ufer des Sees. Es bestand aus einem Steinhaus, das Rezeption und Restaurant beherbergte, sowie
mehreren großen Zelten, die überraschend komfortabel eingerichtet waren und sogar eigene Bäder mit Dusche besaßen.
In dem Glauben, sie seien ein Paar, hatte man Marie und Rafael ein gemeinsames Zelt zugewiesen. Rafael bekam einen roten Kopf,
als er das erfuhr. Marie unterdrückte ein Grinsen. Sie hatte noch nie zuvor erlebt, dass ihm etwas peinlich gewesen war. Da
aber das Hotel jetzt, am Ende der Regenzeit, noch nicht ausgebucht war, konnten sie ein weiteres Zelt bekommen.
Marie duschte, dann aßen sie gemeinsam zu Abend. Marie wählte ein Gericht namens Oluwombo – Hackfleisch mit Gemüsebananen
in einer pikanten Erdnuss-Tomatensoße, |133| gedünstet in Bananenblättern. Das Essen war kräftig gewürzt und schmeckte ungewohnt, aber sehr gut. Sie spürte, wie die Strapazen
der Anreise von ihr abfielen. Es war hier tatsächlich ein wenig wie im Urlaub. Für einen Moment gestattete sie sich zu vergessen,
dass sie nicht zum Spaß hier waren.
Nach dem Essen verzogen sich die Wolken, und die Vulkangipfel glühten im Licht der untergehenden Sonne. Marie und Rafael standen
eine Weile zusammen auf der hölzernen Veranda vor ihren Zelten und blickten hinaus auf den See. Schweigend sahen sie zu, wie
der orangefarbene Glanz rasch verblasste und die ersten Sterne sich am Himmel zeigten. Die Luft war erfüllt vom Zirpen der
Grillen, den fremdartigen Rufen unbekannter Tiere und dem erdigen Duft der feuchten Vegetation.
»Danke, dass du mich hast mitfahren lassen«, sagte Rafael, ohne sich zu ihr umzudrehen.
Marie hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen. »Rafael, ich …«
»Schon gut«, sagte er. »Ich weiß, dass ich nicht zu Copeland passe. Ich glaube, das wusste ich schon nach einer Woche. Ich
habe es mir aufregend vorgestellt, immer neue Unternehmen kennenzulernen und ihnen zu helfen, ihre Probleme zu lösen. Aber
ich bin wohl einfach nicht systematisch und ordentlich genug dafür.«
»Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen«, sagte Marie. »Du bist ein heller Kopf, und ich glaube, du bist sehr kreativ. Du
musst nur lernen, strukturierter vorzugehen, dann wirst du irgendwann auch Copeland-Partner!«
Er drehte sich zu ihr um. In der Dämmerung war sein Gesichtsausdruck nur undeutlich zu erkennen. »Glaubst du das wirklich?«
Eigentlich hatte sie es nur gesagt, um nett zu sein, aber in diesem Moment wusste sie, dass es stimmte. In Rafael |134| steckte mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen war. Sie blieb ihm die Antwort schuldig.
Er sah sie eine Weile an. Das letzte Licht des Tages spiegelte sich in seinen Augen, die einen melancholischen Zug angenommen
hatten. Dann wurde sein Blick ernst. »Marie, ich habe gehört, was in der Firma über dich erzählt wird. Ich weiß, wie wichtig
dieses Projekt für dich ist.«
Sie sah ihn überrascht an. »Was … was erzählt man denn über mich?«
»Dass du wahrscheinlich bald Partnerin wirst. Dass du eine brillante Analytikerin bist. Und ein bisschen zickig!«
Die Kinnlade klappte ihr herunter. Dann lachte er, und sie lachte mit. »Du Idiot! Ich glaube, das Erste, was ich dir beibringen
muss, ist ein wenig mehr Respekt vor deiner Projektleiterin!«
»Das, fürchte ich, kannst du gleich aufgeben!«
Eine Pause entstand, zog sich in die Länge. Marie sah auf die Uhr, obwohl sie in der Dunkelheit die Zeiger gar nicht erkennen
konnte. »Ich denke, ich gehe jetzt besser schlafen. Morgen haben wir eine Menge vor.«
»Du hast recht. Gute Nacht!«
Sie lag noch eine Weile wach und dachte über das Gespräch auf der Veranda nach. Sie mochte Rafael, hatte ihn von Anfang an
gemocht, das war ihr jetzt klar. Er war chaotisch und undiszipliniert, aber seine freundliche, unbekümmerte Art gefiel ihr.
Er war so anders als Machotypen wie Rico oder Scorpa.
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