Der Duft
ausladende schwarze Hörner. Ihre Schulterhöhe
erreichte fast die eines Menschen. Sie mussten wohl mehrere Hundert Kilo auf die Waage bringen.
Einen Moment lang starrte Marie wie gelähmt auf die aufgeschreckten Tiere, die sich wie ein Tsunami aus Muskelmasse und Fell
aus dem Gebüsch ergossen. Sie stürmten genau auf Marie und Rafael zu!
»Au verdammt!«, brüllte Rafael. »Bloß weg hier!« Sie rannten zurück, den Abhang hinunter, doch es war klar, dass sie nicht
weit kommen würden, ehe die flüchtenden Büffel sie erreichten und zu Tode trampelten.
Sie kamen bis zu einem breitstämmigen Baum. Mit einem Hechtsprung, der seine Unbeholfenheit von gestern vergessen ließ, zog
sich Rafael an einem der unteren Äste hoch. Marie ergriff seinen ausgestreckten Arm und ließ sich hinaufhelfen – keine Sekunde
zu früh. Ein gewaltiges Horn streifte schmerzhaft ihre Wade, dann stürmte der Büffel unter dem Ast vorbei den Abhang hinunter,
gefolgt vom Rest der Herde.
In Panik jagten die Tiere weiter. Es waren mindestens drei Dutzend. Ihr erschreckendes Gebrüll und das Donnern der Hufe ließen
die Luft erzittern.
»Mein Gott!«, sagte Rafael, als die Tiere außer Sicht waren. »Das war knapp!«
Nach einer Weile drehte der Hubschrauber ab, und eine seltsame Stille legte sich über den Wald.
»Wir müssen weiter«, sagte Rafael.
»Wohin?«, fragte Marie.
»Keine Ahnung.« Er wies in Richtung des Berggipfels. »Dort im Süden, auf der anderen Seite der Vulkane, müsste |184| Ruanda liegen. Vielleicht können wir uns bis dahin durchschlagen. Wenn wir Glück haben, reicht Borgs Einfluss nicht über Ugandas
Grenzen hinaus.«
»Meinst du, unsere Verfolger haben immer noch nicht aufgegeben?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin auf jeden Fall nicht scharf darauf, es herauszufinden.«
»Aber wir haben nichts zu essen und keinerlei Ausrüstung! Was willst du tun, wenn wir wieder auf Büffel stoßen – oder auf
Schlimmeres?« Sie dachte an Borgs Warnung vor Schlangen und Leoparden.
»Vielleicht finden wir Früchte oder sowas. Außerdem kommt der Mensch ziemlich lange ohne Essen aus, und verdursten werden
wir auf keinen Fall. Was die Wildtiere angeht, müssen wir, glaube ich, keine Angst haben. Die haben hoffentlich mehr Angst
vor uns als wir vor ihnen.«
»Den Eindruck hatte ich aber gerade nicht.«
»Na gut, zugegeben. Vor Büffeln müssen wir uns eben in Acht nehmen.«
Marie wunderte sich, woher Rafael seinen unbeugsamen Optimismus nahm. Sie waren kilometerweit von der nächsten menschlichen
Siedlung entfernt, mitten im Urwald. Wenn ihnen etwas passierte, und sei es auch nur ein verstauchter Knöchel, waren sie aufgeschmissen.
Und dann war da immer noch eine kleine Armee, die hinter ihnen her war.
Sie fragte sich, wie Borg es geschafft hatte, in so kurzer Zeit die Männer für ihre Verfolgung zu mobilisieren. Die einzige
Erklärung dafür konnte doch nur sein, dass er an irgendwelchen Biowaffen arbeitete. Die Grenzen, die von den Europäern während
der Kolonialzeit quer durch Afrika gezogen worden waren, hatten wenig mit den angestammten Gebieten der hier lebenden Völker
zu tun. Die Folge war, dass es beinahe in jedem afrikanischen Land ethnische |185| Konflikte gab, die häufig in militärischen Auseinandersetzungen oder sogar in Völkermord eskalierten.
Sie hoffte, dass sie lange genug lebten, um Borlandt über Borgs finstere Machenschaften zu informieren. Afrika hatte weiß
Gott genug Probleme und brauchte nicht auch noch den Ausbruch einer genetisch mutierten Krankheit, oder was immer es für ein
Teufelszeug war, an dem der Mistkerl arbeitete.
Plötzlich fiel ihr ein, dass sie wahrscheinlich eine Probe dieses Teufelszeugs mit sich herumschleppten. Wenn es sich um eine
ansteckende Krankheit handelte …
»Das Fläschchen«, sagte sie, während sie schnaufend einen besonders steilen Hang emporkrabbelte. »Schmeiß es weg!«
Rafael warf ihr einen überraschten Blick zu. »Warum das denn?«
»Wir wissen nicht, was da drin ist. Wenn Borg an Biowaffen arbeitet, könnte es sein, dass wir eine Katastrophe auslösen. Stell
dir vor, in der Flüssigkeit sind genetisch veränderte Ebolaviren oder so was.«
»Quatsch«, entgegnete Rafael. »Um mit gefährlichen Krankheitserregern zu hantieren, bräuchte Borg ein Hochsicherheitslabor,
mit diesen Raumanzügen und so.«
Er hatte recht. Wenn in dem Fläschchen wirklich ein gefährliches Virus wäre, hätte es wohl nicht einfach so
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