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Der Duft

Titel: Der Duft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sanft ihren Kopf. »Mein armes, armes Schätzchen!« Und auch er
     muss jetzt weinen.
     
    »Marie?« Rafael saß ihr gegenüber. Sie konnte sein Gesicht im Halbdunkel kaum noch erkennen. »Du zitterst ja!« Sie fragte
     sich, wie er das in der Dunkelheit erkennen konnte.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass man mitten in Afrika frieren kann«, sagte sie und bemühte sich um einen ironischen Tonfall.
    »Wir sind hier über zweitausend Meter hoch.« Rafael zögerte einen Moment. »Es wäre vielleicht besser, wenn wir uns ein bisschen
     gegenseitig wärmen.« Es klang, als sei er sich nicht sicher, ob das eine gute Idee war.
    Er stand auf, hielt sich an einem höher liegenden Ast fest und balancierte an ihr vorbei. Er setzte sich mit dem Rücken an
     den Stamm, spreizte die Beine und deutete vor sich auf den Ast. »Setz dich hierher, mit dem Rücken zu mir.«
    Sie zögerte einen Moment, doch der Wunsch nach etwas Wärme war stärker als ihre anerzogene Zurückhaltung. Sie lehnte sich
     mit dem Rücken gegen seine Brust, und er legte seine Arme um sie.
    Augenblicklich fühlte sie sich besser. Seine Körperwärme |178| wirkte beruhigend, fast wie die Umarmung ihres Vaters vor so langer Zeit. Seine Arme und seine breite Brust, die sich hinter
     ihr langsam hob und senkte, vermittelten Geborgenheit. Langsam löste sich die Anspannung in ihren verkrampften Muskeln. Sie
     legte den Kopf zurück, sodass sie seinen Atem dicht neben ihrem linken Ohr spürte. Der Duft seiner feuchten Haut umhüllte
     sie, und plötzlich war seine Umarmung nicht mehr fremd und steif, sondern sanft und vertraut. Ein wohliger Seufzer entfuhr
     ihr.
    »Das war eine gute Idee«, sagte sie leise.
    Er antwortete nicht, hielt sie nur fest, wärmte sie und beschützte sie vor den Gefahren der Nacht.

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    |179| 19.
    Jemand rüttelte Marie am Arm. Sie murrte. Arne sollte sie ruhig noch ein wenig schlafen lassen. Es war so warm, so kuschelig
     in ihrem Bett …
    »Leise«, flüsterte eine Stimme dicht an ihrem Ohr. Es war nicht Arne. Die Wärme ging nicht von einer Daunendecke aus, sondern
     von einem männlichen Körper, der sie umarmte.
    Die Erinnerung traf sie wie ein Hammerschlag. Sie riss die Augen auf, doch undurchdringlicher Morgennebel verhüllte alles,
     was weiter als zwei Meter entfernt war.
    Maries Körper war steif, aber die Kopfschmerzen hatten sich aufgelöst, und sie hatte erstaunlich gut geschlafen. Sie wollte
     sich strecken, etwas sagen, doch Rafael hielt sie fest.
    »Wir sind nicht allein«, flüsterte er.
    Wie ein Blitz durchfuhr es sie. Die Verfolger mussten ihre Spur aufgenommen haben. Vielleicht hatten sie Hunde. Dann war alles
     vorbei.
    Sie lauschte. Es war kein Gebell zu hören, dafür ein leises Schnauben und Grunzen. Äste wurden abgeknickt. Die Geräusche waren
     furchterregend nah – sie schienen direkt aus dem konturlosen Grau vor ihnen zu kommen. Ein starker, animalischer Geruch drang
     von dort herauf.
    Der Nebel wurde dünner, schob sich langsam zur Seite wie ein seidener Vorhang und gab den Blick auf den Abhang über ihnen
     frei. Eine Gruppe dunkler Gestalten schlich gebückt durch das Dickicht. Doch sie machten nicht den Eindruck, als verfolgten
     sie jemanden. Sie ließen sich Zeit, untersuchten die Büsche, bogen hier einen Zweig herab, griffen dort nach einem höheren
     Ast oder saßen einfach |180| entspannt auf dem Boden und kauten auf ein paar Blättern.
    Ein Gefühl der Ehrfurcht erfüllte Marie. Berggorillas! Es waren acht oder neun Tiere, zwei von ihnen junge, angeführt von
     einem mächtigen Männchen mit silbergrauem Rücken und einem eindrucksvollen Kamm auf dem Kopf, so als trüge er einen schwarzen
     Helm.
    »Sie wissen, dass wir hier sind«, flüsterte Rafael.
    Wie um seine Worte zu bestätigen, drehte sich der Silberrücken um und sah sie direkt an. Er richtete sich auf und machte ein
     paar schnelle Schritte auf sie zu. Er war jetzt nur noch ein Dutzend Meter entfernt. Er trommelte mit den Fäusten gegen seine
     Brust, was das dumpfe, pochende Geräusch erzeugte, das sie am Abend zuvor gehört hatten.
    Marie fühlte sich an alte King-Kong- und Tarzan-Filme erinnert. Sie hatte das Brustklopfen der Gorillas immer für eine Übertreibung
     Hollywoods gehalten. Doch es geschah wirklich, vor ihren Augen, und es war noch viel eindrucksvoller als im Film. Der Silberrücken
     war eine Ehrfurcht gebietende Erscheinung, ganz eindeutig der Herrscher in diesem Terrain. Er rupfte Zweige und Blätter von
    

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