Der Duft
unser«, begann er, während
die Tränen über seine Wangen rannen, »der du bist im Himmel …«
Unten machte sich erneut eine Hyäne zum Sprung bereit.
»… geheiligt werde dein Name, dein Reich komme …«
Das Tier schoss hoch. Peko schloss die Augen. Im selben Moment donnerte es, und die Hyäne jaulte auf.
Vor Schreck wäre Peko beinahe vom Baum gefallen. Er riss die Augen auf und erschrak noch mehr, als er zwei bleiche Gestalten
sah, die mit lautem Gebrüll auf den Baum zuliefen.
Die Hyänen wandten sich knurrend den Geistern zu, doch einer der beiden hielt seinen Arm hoch. Ein kurzer Blitz zuckte daraus
hervor, und erneut erklang ein schrecklicher Donner. Das war selbst für die furchtlosen Hyänen zu viel. Sie jaulten auf und
trotteten davon, wobei eine von ihnen stark hinkte und sich immer wieder die linke Flanke leckte.
Ängstlich starrte Peko auf die Wesen, die nun neben dem Baum standen und ihm etwas zuriefen. Es waren sicher Geister aus der
Unterwelt. Wahrscheinlich hatten die Götter sie geschickt, damit sie ihn hinab ins Reich der Toten holten. Peko wusste, es
hatte schlimme Folgen, wenn man sich dem Willen der Götter widersetzte, doch er brachte es nicht fertig, hinabzuklettern zu
den Geistern, die fahl im Mondschein leuchteten.
»Warum kommt er nicht herunter?«, fragte Rafael.
»Er ist völlig verängstigt«, sagte Marie. »Er kann höchstens sieben oder acht Jahre alt sein.«
|255| »Wo sind seine Eltern? Und was macht er ganz allein hier draußen?«
Marie hatte keine Antwort. Sie versuchte, das Kind auf Englisch anzusprechen. »Don’t be afraid«, rief sie. »We won’t harm
you. Please, come down.«
Der Junge rief etwas. Zuerst glaubte Marie, sich verhört zu haben. Sie sah Rafael verblüfft an. Dann wiederholte der Junge
seinen Satz: »Gelobt sei Jesus Christus!«
»Er spricht Deutsch!«, stellte Marie verblüfft fest. »Komm herunter!«, rief sie. »Wir tun dir nichts!«
Zögernd verließ der Junge sein Versteck, kam auf Marie zu, umklammerte sie, legte seinen Kopf an ihren Bauch und weinte. Sie
nahm ihn in die Arme und drückte ihn an sich, ein seltsames Gefühl von Stolz, Mitleid und Trauer im Bauch.
Nach einer Weile hörte das Schluchzen auf. Der Junge zitterte immer noch am ganzen Leib. Er sagte etwas in einer Sprache,
die sie nicht verstand. »Ist ja gut«, sagte sie. »Du musst keine Angst mehr haben. Wir bringen dich zu deinen Eltern.«
Es stellte sich schnell heraus, dass der Junge nur wenige Brocken Deutsch beherrschte – das Vaterunser und einige christliche
Lieder. Mit Gesten und ein paar Brocken Englisch klappte die Verständigung etwas besser. Sie fanden zumindest den Namen des
Jungen heraus und dass er vermutlich aus dem Dorf in der Nähe stammte, dessen Rauchsäule sie am Morgen zuvor gesehen hatten.
Er war sehr aufgeregt, als sie davon sprachen, ihn dorthin zurückzubringen. Abwechselnd weinte er, redete schnell in seiner
Sprache und zeigte in den Himmel, auf den Boden, auf sich selbst und in die Richtung, in der die Siedlung liegen musste. Der
Sinn seiner Worte blieb Marie verborgen.
Nach einer Weile gaben sie den Versuch der Kommunikation auf und marschierten weiter in die Richtung des |256| Hügels, hinter dem das Dorf liegen musste. Peko folgte ihnen schweigend.
Als der Morgen graute, waren sie der Hügelkette bereits ein gutes Stück näher gekommen. Trotzdem waren es sicher noch einige
Stunden Fußmarsch. »Meinst du, wir können es riskieren, bei Tag weiterzugehen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Rafael. »Es scheint, als sei es nicht mehr weit. Aber die Sonne wird uns zu schaffen machen, und wir
haben kein Wasser mehr. Außerdem bin ich ehrlich gesagt ziemlich müde.«
Die Aussicht auf Wasser und etwas zu essen in dem Dorf gab Marie neue Kraft, aber sie wusste, wie trügerisch dieses Gefühl
sein konnte. Also stimmte sie schweren Herzens zu, erneut Schutz in einem Gestrüpp zu suchen.
Verwirrt beobachtete Peko, wie die beiden Engel ihre Kleider auszogen und sich daraus einen Unterschlupf bauten. Als er gehört
hatte, dass die beiden Deutsch sprachen wie die dicke Lehrerin, war ihm klar gewesen, dass das keine Geister waren, die von
den afrikanischen Göttern geschickt worden waren. Nein, diese beiden kamen eindeutig von Jesus. Sein Gebet war erhört worden!
Die dicke Lehrerin hatte Recht gehabt: Dieser Christus musste ein viel mächtigerer Gott sein als die afrikanischen Götter,
wenn er zwei Engel
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