Der Duft
ihm über den Kopf gestreichelt hatte, nicht mehr lebte. Nie wieder würde er mit seiner lauten Stimme schimpfen, wenn Peko
und die anderen Kinder in der Mittagsruhe lärmten.
Endlich wandte er sich ab. Mit steifen Schritten ging er in Richtung der Hütte seiner Eltern. Er fühlte sich wie die Holzpuppe,
die er geschnitzt hatte – bewegt von einem seltsamen Zauber, doch innerlich zerbrochen. Wie durch ein Wunder war ihre Hütte
unversehrt geblieben. Die Wäsche hing noch auf dem rostigen Drahtgestell, wo seine Mutter sie gestern aufgehängt hatte, doch
die schönen bunten Tücher waren rußgeschwärzt.
Peko blieb vor dem Bastvorhang des Eingangs stehen. Er brauchte lange, bis er die Kraft aufbrachte, ihn beiseite zu schieben
und einzutreten.
Die Hütte war leer.
Eine Welle der Erleichterung durchlief ihn. Vielleicht |249| hatte seine Familie fliehen können. Vielleicht hatten die Götter sie verschont. Er betete, dass es so war.
Er durchstreifte das Dorf und fand mehr Leichen, als er an beiden Händen Finger hatte. Darunter die alte Zinja, den dummen
Osman, der nicht richtig sprechen konnte, aber stark wie ein Ochse gewesen war, und Kunu, den Medizinmann des Dorfes, der
mit seinem Zauber den Menschen geholfen hatte, wenn ihre Körper von bösen Geistern krank gemacht wurden. Warum die Götter
ihn, ihren treusten Diener, nicht verschont hatten, verstand Peko nicht. Auch Kinder waren unter den Toten: Lisi, die kleine
Schwester von Kallu, und Konatu, der so schnell hatte laufen können.
Wie benommen wankte Peko durch die Ruinen und starrte die verbrannten Körper an. Einige der Leichen waren bis zur Unkenntlichkeit
verkohlt, aber er war sich ziemlich sicher, dass seine Eltern nicht darunter waren.
Er allein war an dieser Katastrophe schuld, das wusste er. Sein Vater hatte ihm erklärt, die bösen Männer kämen, wenn die
Menschen die heiligen Gebote missachteten. Mit seiner Todsünde hatte Peko den Zorn der Götter herausgefordert, und sie hatten
die bösen Männer noch einmal geschickt. Vielleicht war es auch dieser eine Gott aus Deutschland gewesen, von dem die dicke
Frau immer erzählt hatte – dieser Christus, der immer so wütend auf die Sünder zu sein schien.
Peko fühlte sich, als sei er selbst gestorben. Ihm blieb nur noch eines zu tun: das eigene Leben den Göttern anbieten, damit
seine Schuld beglichen wurde und die Menschen, die er liebte, Frieden finden konnten. Er würde in die Wildnis gehen, bis ihn
ein Rudel Wildhunde oder Hyänen fand, um ihn zu zerfleischen.
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|250| 29.
Marie schreckte hoch. Es war dunkel geworden, und die Hitze des Tages war einer Kühle gewichen, die sie frösteln ließ.
Rafael zog sich bereits wieder an. Er reichte ihr Rock und Bluse. »Hattest du einen Alptraum?«
Sie nickte. Sie war wieder ein kleines Mädchen gewesen. Ihr Vater hatte sie zu einem Fußballspiel ins Olympiastadion mitgenommen,
wie er es tatsächlich zwei oder drei Mal getan hatte. Plötzlich waren überall um sie herum Tumulte ausgebrochen. Die Menschen
hatten angefangen, wie wild um sich zu schlagen. Menschen, denen die Mordlust ins Gesicht geschrieben stand, hatten sie mit
blutunterlaufenen Augen umringt. Angstvoll hatte sie sich an ihren Vater geklammert. Doch als sie zu ihm aufblickte, hatte
sie nur eine Fratze voller Wut gesehen.
Seltsam: Sie hatte schon lange nicht mehr an die Stadionbesuche mit ihrem Vater gedacht. Sie erinnerte sich noch, dass sie
sich immer ein bisschen gefürchtet hatte, wenn ihr Vater von seinem Sitz aufgesprungen war und seine Enttäuschung über einen
Fehlpass oder eine falsche Schiedsrichterentscheidung herausgebrüllt hatte. Im Stadion schien er ein anderer Mensch zu sein:
Seine Einfühlsamkeit verschwand; stattdessen entwickelte er eine fast beängstigende Leidenschaft, die sonst nur selten aus
ihm herausbrach.
Der Traum hatte sich sehr real angefühlt. Was, wenn es wirklich geschah? Wenn Ondomars Leute das Pheromon an so einem Ort
wie einem voll besetzten Fußballstadion ausbrachten? Fünfzigtausend Menschen auf engstem Raum, |251| die sich in mordlustige Bestien verwandelten – eine grauenhafte Vorstellung.
»Komm! Wir müssen heute Nacht so viel Strecke wie möglich zurücklegen«, sagte Rafael.
Marie zog sich rasch an und folgte ihm in Richtung der fernen Hügelkette. Die Landschaft lag still im Licht eines sichelförmigen
Mondes. Alles wirkte so friedlich.
Sie kamen zügig voran, und die Bewegung
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