Der Duft
war Ondomar?«, fragte Rafael
Marie schüttelte den Kopf. »Warum sollte er das tun? Er kämpft gegen den Westen, nicht gegen die Leute in diesem Land.«
»Aber wer war es dann? Und warum haben diese Leute ein Dorf voller friedlicher Menschen ausradiert?«
»Keine Ahnung. Früher habe ich im Fernsehen immer umgeschaltet, wenn Berichte über Völkermorde in Afrika liefen. Ich habe
gedacht, es geht mich nichts an, wenn sich irgendwo auf der Welt Leute gegenseitig umbringen.« Plötzlich traten Tränen in
ihre Augen. »Ich konnte ja nicht |262| ahnen, dass es … dass es
so
ist … wie können Menschen so etwas tun?«
Rafael zuckte nur mit den Schultern.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Marie.
Er deutete auf einen rauchgeschwärzten Jeep am Straßenrand. Die Frontscheibe war zersplittert und einer der Reifen platt.
»Vielleicht kann ich den wieder flottmachen.«
Marie sah ihn verwundert an. »Du kennst dich mit Autos aus?«
»Na ja, Reifen wechseln kann ich schon.«
Tatsächlich gelang es Rafael, den kaputten Reifen gegen das Reserverad vom Heck des Wagens zu tauschen. Jetzt mussten sie
den Jeep nur noch starten.
Peko zeigte auf die von Fliegen bedeckte Leiche eines älteren Afrikaners, die etwas abseits des Fahrzeugs lag, und sagte etwas
in seiner Sprache.
Marie und Rafael sahen sich an. Rafaels Gesicht hatte eine leicht grünliche Farbe angenommen. »Mach du das«, sagte er. »Ich
hab schon den Reifen gewechselt.«
Marie warf ihm einen entsetzten Blick zu. Doch sie überwand ihren Ekel und beugte sich über die Leiche. Der Gestank raubte
ihr den Atem. Sie hielt die Luft an und durchwühlte die Hosentaschen, während eine Wolke von Fliegen aufstob und sie wütend
umkreiste. Ihre Knie wurden weich, doch sie fand den Zündschlüssel. Sie richtete sich mühsam auf, wankte ein paar Schritte
und fiel dann auf die Knie. Ihre Gedärme krampften sich zusammen, und sie erbrach das Wasser, das sie kurz zuvor getrunken
hatte.
Rafael lief zu ihr und half ihr hoch. »Danke«, sagt er. »Ich … ich hätte das nicht geschafft.«
Er startete den Motor. Das Geräusch wirkte seltsam laut in der Totenstille des Dorfes. Rafael lenkte den Wagen auf die Straße
und ließ den Motor laufen, als habe er Angst, |263| dass ihm das Kunststück, ihn anzulassen, kein zweites Mal gelingen würde. Er stieg aus. »Wir brauchen Vorräte«, sagte er.
»Und vor allem Benzin.«
Sie durchsuchten die Trümmer der Siedlung. Sie fanden einen Brunnen mit einer Handpumpe, aus dem sie Pekos Kanister sowie
zwei weitere füllten. Das Wasser würde für mehrere Tage reichen. In Pekos Hütte waren getrocknete Früchte und noch etwas Fladenbrot.
Benzin fanden sie jedoch keines. Der Jeep besaß einen vollen Reservekanister. Das und der Tankinhalt würde ausreichen müssen.
»Wohin fahren wir?«, fragte Rafael.
Marie beugte sich zu Peko herab. »Peko, where should we go?« Sie zeigte in die beiden Richtungen der Straße.
Er überlegte einen Moment. Dann erhellte sich seine Miene. Er zeigte in die Richtung, die Marie für Norden hielt. »Go Kamuna«,
sagte er. »Kamuna my aunt. Nice woman.«
»Na dann, alles einsteigen«, sagte Rafael.
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|264| 31.
Sie folgten der staubigen Sandpiste, die sich durch die Hügel nördlich des Dorfes wand. Maries Laune besserte sich, je weiter
sie sich vom Ort des Grauens entfernten. Sie würde die Bilder dieses Morgens ihr Leben lang nicht vergessen, aber jetzt, wo
sie motorisiert waren, hatten sie es fast geschafft. Sobald sie Peko bei seinen Verwandten abgesetzt hatten, würden sie in
die Hauptstadt dieses Landes fahren – wo auch immer sie gerade waren. In der deutschen Botschaft würden sie sich neue Papiere
und Flugtickets besorgen. Einchecken in irgendein Hotel, und dann erstmal ausgiebig duschen.
Rafael war schweigsam und wirkte angespannt. Immer wieder sah er über die Schulter, als habe er Sorge, dass ihnen jemand folgte.
Dabei war kilometerweit kein anderes Fahrzeug zu sehen.
»Was hast du?«, fragte Marie.
»Ondomars Leute. Ich glaube nicht, dass sie die Suche schon aufgegeben haben. Und sie haben Hubschrauber.«
Nach einer Weile schienen sich seine Sorgen zu bestätigen. Das Motorengeräusch wurde von einem dumpfen Knattern übertönt.
Noch war der Helikopter durch eine Hügelkette vor ihren Blicken verborgen, doch er schien sich rasch zu nähern.
Rafael bremste scharf und lenkte den Wagen etwas von der Piste. »Raus!«, rief er und sprang aus dem
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