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Der Duft

Titel: Der Duft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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schicken konnte, die es mit Hyänen aufnahmen.
    Doch je länger er sie beobachtete, desto mehr Zweifel kamen ihm, dass es wirklich Engel waren. Sie wirkten wie Menschen, seltsame
     Menschen zwar, aber doch Menschen aus Fleisch und Blut, so wie die dicke Lehrerin. Anscheinend schliefen sie bei Tag und waren
     nachts wach. Vielleicht machten das alle Leute in Deutschland so – das würde jedenfalls erklären, weshalb sie so bleich waren.
    Andererseits konnte es wohl kaum ein Zufall sein, dass die beiden genau in dem Moment aufgetaucht waren, als er |257| in höchster Not ein verzweifeltes Gebet zu dem Gott aus Deutschland gesprochen hatte. Vielleicht benutzte dieser Christus
     nicht Geister und Tiere, um seinen Willen zu verrichten, sondern Menschen. Vielleicht war er deshalb so mächtig.
    Peko für seinen Teil hatte es nicht eilig, zurück zu dem zerstörten Dorf zu kommen, zu dem die beiden offenbar wollten. Er
     hatte Durst. Während seine Retter sich in ihre Höhle verkrochen, sah er sich um. Er hatte Glück. In nur ein paar Hundert Schritten
     Entfernung ragte ein Affenbrotbaum auf. Die Regenzeit war gerade vorüber, und der Baum hatte noch nicht alle Blätter abgeworfen.
     Sogar einige Früchte hingen an seinen Ästen. Peko suchte sich einen scharfen Stein und bearbeitete damit die Rinde. Es dauerte
     eine Weile, aber es gelang ihm, ein Stück herauszubrechen. Das Holz darunter glänzte von Feuchtigkeit. Er schabte mit dem
     Stein einige Fasern heraus und kaute sie.
    Erschrocken fuhr er herum, als er merkte, dass er nicht allein war. Die beiden Deutschen standen da und beobachteten ihn.
     Hatten sie vielleicht etwas dagegen, dass er Baobab verletzte? Wollte Christus, dass er für sein Vergehen büßte, indem er
     ohne Essen und Trinken lebte? Er hörte auf zu schaben, ließ den Stein fallen und hob die Hände in einer Geste der Entschuldigung.
    Die beiden sahen einander an und redeten etwas auf Deutsch. Dann hob der Mann den Stein auf und begann seinerseits Fasern
     abzuschaben. Er steckte sie sich in den Mund, verzog das Gesicht, kaute jedoch darauf herum.
    Peko zeigte ihm, wie man die Fasern aus dem Mund zog, ohne kostbare Feuchtigkeit zu verschwenden.
    Schließlich bearbeiteten alle drei den Baumstamm und höhlten ihn ein Stück weit aus. Bald war ihr schlimmster Durst gelöscht.
     Peko zeigte nach oben. Er signalisierte den |258| Deutschen, ihn hochzuheben, so dass er auf einen der niedrigeren Äste klettern und die Früchte pflücken konnte.
    Es dauerte eine Weile, bis sie begriffen, was er meinte – vielleicht gingen die Leute in Deutschland nicht zur Schule und
     wussten deshalb so wenig. Andererseits hatte die weiße Lehrerin doch eine Menge Geschichten erzählt. Wie auch immer, sie hoben
     ihn schließlich hoch, und er pflückte einige der flaschenförmigen Früchte, die so lang waren wie sein Unterarm. Er zeigte
     den Fremden, wie man sie öffnete und dass man sowohl das faserige weiße Fleisch als auch die dunklen Samenkörner essen konnte.
     
    Der Tag ging langsam voran. Das Holz des merkwürdigen Baumes konnte Maries Durst für eine Weile löschen, und die Frucht hatte
     sie gestärkt. Doch das Trockenheitsgefühl in der Kehle war rasch zurückgekehrt. Immer wieder fiel Marie in einen fiebrigen
     Dämmerzustand, ohne jedoch richtig zu schlafen. Es war eine seltsame Sache, hier mit Rafael und einem Kind zu liegen – als
     seien sie eine Familie.
    Sie dachte daran, wie sie mit lautem Gebrüll auf die Hyänen zugerannt waren. Sie hatte in diesem Moment überhaupt keine Angst
     gehabt. War das Mut? Nein, wahrscheinlich eher Wahnsinn. Hätte Rafael nicht die Pistole gehabt, wären sie wahrscheinlich gefressen
     worden. Und doch hatte Marie das starke Gefühl, das Richtige getan zu haben.
    Seltsam – ihr Leben war völlig aus den Fugen geraten, sie lag hier im Staub der Wüste, verdreckt und durstig, und doch fühlte
     sie sich lebendig wie nie zuvor. Es war, als sei sie sich selbst in den letzten Tagen näher gekommen, als habe sie etwas in
     sich entdeckt, das schon lange tief in ihr geschlummert hatte. Es war eine urtümliche Kraft, ein Wille, der sich über jede
     Logik hinwegsetzte.
    Ihr wurde plötzlich klar, dass sie sich hier, fernab jeder |259| Zivilisation, jenem Ursprungszustand annäherte, in dem sich der Mensch befunden hatte, bevor er die Schrift erfand, den Ackerbau,
     das Flugzeug und den Computer. Sie waren auf sich allein gestellt, in einer feindlichen Umgebung. Nur ihre Willenskraft

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