Der Dunkle Code
anhielt. Aaro hoffte inständig, dass sein Freund nicht vor lauter Aufregung anfing zu hyperventilieren. Langsam drückte er die Schlafsaaltür zuerst einen Spaltbreit und dann ganz auf. Die schlecht geölten Scharniere quietschten hörbar. Instinktiv hielt auch er den Atem an. In einem der Betten drehte sich jemand um, man hörte einen schläfrigen Laut, dann aber nichts mehr.
Nach einer Weile, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkam, krabbelten Aaro und Jaakko in den Saal hinein. Aaro fand, dass es besser war, auf allen vieren zu bleiben, denn auf Bodenhöhe war es trotz des schräg hereinfallenden Mondlichts dunkel. Allerdings musste er kurz aufstehen, um Lauras Bett zu finden. Es war leicht zu erkennen, denn die Tasche mit der Digitalkamera hing am Pfosten des Kopfendes. Laura schien oben zu schlafen.
»Geh du auf den Gang und pass auf«, flüsterte er Jaakko zu. Der schien nichts dagegen zu haben, schleunigst wieder aus der verbotenen Zone zu verschwinden. Dann ging Aaro wieder auf alle viere und kroch auf Lauras Bett zu.
Die Mädchen schienen lautloser zu schlafen als die Jungen, niemand schnarchte, aber andererseits war es schwerer zu sagen, wer schlief und wer nicht. Man konnte nur hoffen, dass wirklich alle tief träumten. Immerhin war bis jetzt keine hochgefahren und hatte verärgert Fragen gestellt.
Aaro nahm die Kamera aus der Hülle. Das Fehlen der Kamera würde erst auffallen, wenn sie jemand rausnehmen wollte. Allerdings hatte Aaro vor, sie noch in der Nacht wieder zurückzubringen.
Er schlich geduckt, mit der Kamera in der Hand, aus dem Saal. Fast wäre er auf dem dunklen Gang über Jaakko gestolpert, der direkt vor der Schlafsaaltür der Länge nach auf dem Fußboden lag.
»Was liegst du da rum«, flüsterte Aaro und schlich in Richtung Haustür. »Wir gehen jetzt raus.«
Die Haustür war ein typisches italienisches Eisentor, auf das innen eine dicke Plexiglasscheibe geschraubt war. Per Druck auf einen Knopf an der Wand ging das Schloss elektrisch auf. Das war der riskanteste Moment, denn der Knopf gab einen unangenehmen, schnarrenden Ton von sich.
Aaro drückte trotzdem. Sie lauschten. Keine weiteren Geräusche. Also machte Aaro das schwere Tor auf. Nachdem sie im Freien waren, schob Aaro die Zunge des Schlosses nach innen und zog die Tür langsam zu.
»Das haben wir doch super hingekriegt«, sagte er aufmunternd zu Jaakko und zwinkerte ihm zu. In dem Moment gingen drinnen die hellen Neonröhren im Gang an und sie hörten einen Ausruf der Verwunderung.
7
Der elegante, grauhaarige Mann zog sich einen Einwegregenmantel aus dünnem Plastik über. Sorgfältig setzte er die Duschhaube auf, band sich den Atemschutz aus Papier vors Gesicht und streifte zuletzt Latexhandschuhe über. Die beiden anderen Männer im Keller der Villa Mariluce starrten ihn an. Auf Giulianos Gesicht machte sich allmählich ein schiefes Lächeln breit.
»Du überlässt auch nichts dem Zufall, Dietrich«, sagte er amüsiert.
Dietrich Gruber warf ihm einen Blick durch die Brille zu. Für einen Moment blitzte Unmut in seinen Augen auf, dann sagte er mit dem Bemühen, humorvoll zu klingen: »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, hat mein Vater immer gesagt. Aber ich möchte daran erinnern, dass man nicht unnötig Namen laut aussprechen sollte. Ich meine damit nicht, dass jemand die Villa hier belauscht, das ist mehrfach überprüft worden. Aber es kann zur unschönen Angewohnheit werden. Und unschöne Angewohnheiten führen zu unschönen Routineabläufen. Und Wild, das auf ausgetrampelten Pfaden wandelt, wird als Erstes erlegt.«
Giuliano und Achim hörten mit ernsten Gesichtern zu. Dietrich pflegte zu predigen und dabei in Gleichnissen zu sprechen. Giuliano hielt ihn wegen seiner Intelligenz für einen unvergleichlichen Anführer. Achim schätzte ihn dafür, dass er für ihn plante und ihm sagte, was er tun sollte. Achims Stärken hingegen waren Muskelkraft und eine beachtliche Reaktionsschnelligkeit.
»Gib das Bild her!«, bellte Dietrich nun mit vollkommen verändertem Ton. Er nahm den Farbausdruck von Giuliano entgegen und warf noch einen letzten Blick auf das Caravaggio-Gemälde, das von Achims Messer bedroht wurde, dann steckte er den Ausdruck in ein Kuvert aus dicker Pappe. Giuliano reichte ihm den Brief, den Dietrich auf einer mechanischen Schreibmaschine vom Flohmarkt Bracciano getippt hatte.
»Achim, du schreibst die Adresse«, sagte Dietrich auf Deutsch und drückte dem anderen einen dicken Filzstift in die
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