Der Dunkle Code
Rezeption.
8
Aaro und Jaakko gingen zügig durch die Via Amba Aradami in Richtung Laterankirche. Die Nacht war warm und trotz der späten Stunde riss auf den Straßen Roms der Strom der Autos nicht ab. Signor Sordi hatte gesehen, wie sie das Haus verlassen hatten, was garantiert Folgen haben würde.
Aaro versuchte im Gehen etwas auf dem Kameradisplay zu erkennen, er hatte bereits die Sequenz vom Petersplatz gefunden, aber mehr als Menschengewimmel war auf dem winzigen Monitor nicht zu identifizieren.
»Das wird nichts«, keuchte er. »Wir brauchen ein Firewire-Kabel, damit wir die Kamera an einen Computer anschließen können.«
»Vielleicht schaffen wir es morgen früh in einen Computerladen?«, schlug Jaakko vor. Als Signor Sordi ihnen nachgerufen hatte, wäre er am liebsten direkt vor der Jugendherberge wieder umgekehrt.
»Wieso morgen früh? Das hier ist Rom, hier geht man nicht nach dem Sandmännchen ins Bett«, schnaubte Aaro. Allerdings war auch ihm aufgefallen, dass Rom in praktischen Dingen eine Stadt voller Überraschungen war, so wie sein Vater es ihm vor der Abreise erklärt hatte: Alles ließ sich irgendwie regeln – oder eben nicht.
»He, warum bringen wir die Kamera nicht zur Polizei?«, schlug Jaakko als Nächstes vor, nun noch ein bisschen nervöser. »Das ist ein Kriminalfall und damit was für die Polizei. Dann sind wir das Ganze los und können wieder ins Bett gehen. Die haben bestimmt längst gemerkt, dass wir nicht sind, wo wir sein sollen …«
»Du kannst ja ins Bett gehen, wenn du müde bist. Ich will den Filmausschnitt hier richtig sehen, und zwar jetzt!«, erwiderte Aaro mit vor Müdigkeit heiserer Stimme. »Hast du kein bisschen menschliche Neugier in dir? Wenn alle solche Trantüten wären wie du, würden wir immer noch in Höhlen leben und am Lagerfeuer Büffelschenkel grillen. Das heißt, ohne Neugier wäre noch nicht mal das Feuer erfunden worden.«
Aaro atmete tief durch. Sie hatten den Platz vor der Laterankirche erreicht, der von einem riesigen Obelisken beherrscht wurde. Hier zweigte die Via Merulana ab, an deren Ende die Kirche Santa Maria Maggiore stand. Und ein paar Blocks weiter der große Bahnhof Roma Termini. In einer solchen Gegend dürfte es nicht schwer sein, ein Internetcafé zu finden, das auch nachts geöffnet hatte.
»Und was machen wir nun?«, seufzte Jaakko.
»Wir suchen uns ein Internetcafé und stöpseln das Ding hier ein«, antwortete Aaro kurz und bündig und ging in Richtung Kirche weiter.
Genau zur gleichen Zeit drückte Marita Weckman die Klingel an der Rezeption der Jugendherberge. Ein Mann mit verschlafenen Augen, der Nachtportier Signor Sordi, sprang von seinem Klappbett im Hinterzimmer auf und stand im Nu hinter der Theke. Er hob die Augenbrauen, als er fragte, was die Dame wünsche.
»Uns sind zwei Jungen abhandengekommen«, sagte Marita mit gedämpfter, zitternder Stimme. »Und sie melden sich nicht am Telefon. Haben Sie vielleicht jemanden hier vorbeischleichen sehen?«
»Das habe ich tatsächlich, Signora, ungefähr um Mitternacht hörte ich die Haustür zufallen. Ich sah nach, da verschwanden sie gerade um die Ecke, und sie reagierten auch nicht, als ich sie rief. Es tut mir leid.«
Marita Weckmans Augen wurden feucht. Das hätte sie von Aaro und Jaakko nie geglaubt. Dass sie auf eigene Faust in der Großstadt in die Nacht verschwinden. Und sie, Marita Weckman, trug die Verantwortung. Was sollte sie den Eltern der Jungen sagen?
»Bei uns in Italien sind Kinder in dem Alter um diese Zeit nicht mehr allein auf der Straße – außer mit ihren Eltern«, sagte Signor Sordi mit leicht missbilligendem Unterton.
Marita kehrte in ihr Zimmer zurück, wo Nina und Essi auf sie warteten. Marita schilderte ihnen die Lage und fragte verzweifelt, was sie unternehmen sollten.
»Wir schicken eine SMS«, schlug Essi vor. »Wenn keine Antwort kommt, reden wir mit der Polizei.«
Aaro und Jaakko standen im Internetcafé »24/7« in der Via Principe Amedeo. Die meisten dieser Einrichtungen in der Gegend schienen von Indern oder Pakistanis betrieben zu werden.
»Ciao, womit kann ich dienen?«, fragte das Mädchen hinter der Theke. Sie sah nicht aus wie eine Inderin, sondern wie eine italienische Studentin, die hier jobbte. Sie hatte dunkle Locken und strahlende braune Augen, die dafür sorgten, dass Aaro bis über beide Ohren rot wurde.
Er bat darum, sich ein Kabel borgen zu dürfen. Das Mädchen holte einen Schuhkarton mit unterschiedlichen
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