Der Dunkle Code
drängte sich der Gedanke an eine Flucht mit großer Selbstverständlichkeit auf. Von Rom aus gab es auch um diese Zeit noch jede Menge Flüge nach Madrid. Und von Madrid aus kam man jederzeit nach Südamerika …
Lagos erinnerte sich an das Versprechen, das er dem grauhaarigen Deutschen gegeben hatte, und schickte rasch eine SMS an die Nummer, die für diesen Zweck vorgesehen war: POLIZEI WAR IN DER FINANZPRÄFEKTUR. GRUND UNKLAR. LAGOS.
Die Nummer hatte Lagos unter dem Namen »Tedesco« ,der Deutsche, gespeichert, denn der Mann hatte nie seinen Namen preisgegeben.
Pater Sebastiano nahm den Koffer vom Schrank und warf Kleidungsstücke hinein. Sein Priestergewand legte er ganz obenauf, das konnte ihm auf der Flucht von Nutzen sein.
Das Schrillen der Türklingel unterbrach seine Reisevorbereitungen. Er machte zwei Schritte auf den Hörer der Sprechanlage zu, beschloss dann aber, sich nicht zu melden.
Er öffnete die Balkontür, ging nach draußen und blickte auf das nicht allzu steile Dach, über das ein junger Mann mit flinken Beinen sicherlich spielend auf das Dach des Nachbarhauses gelangen würde. Allerdings waren es nur zwei Meter bis zum Dachrand, wo es tief auf die Straße hinunterging. Sebastiano beschloss, es lieber nicht zu versuchen, ihm war in der Höhe schon immer schwindlig geworden.
Stattdessen stürzte er zur Wohnungstür und riss sie auf. Seine schweißnasse Hand rutschte von der Türklinke. Im Treppenhaus hallten Schritte wider und man hörte das Geräusch der Aufzugtür im Erdgeschoss. Niemand sagte etwas, aber der Lift setzte sich nach oben in Bewegung.
Sebastiano rannte die Treppe zum Dach hinauf und öffnete die Tür nach draußen. Ein warmer Wind blies ihm ins Gesicht. Leise schloss er die Tür hinter sich, die von außen nicht abgesperrt werden konnte.
Die Dachfläche war nur fünf mal fünf Meter groß, in der Mitte ragte ein gemauerter Schornstein auf. An allen vier Seiten schlossen sich Dachschrägen nach unten an. Pater Sebastiano machte drei unsichere Schritte und klammerte sich mit den Fingern am Blechrand des Schornsteins fest. Es knirschte tückisch.
Er kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder und schaute auf die Dachschräge, die zur Straße hin abfiel. Sie war mit roten Ziegeln gedeckt, einige davon waren kaputt, ein Teil hatte sich gelöst. Dieses Dach zu betreten wäre Selbstmord, dachte Sebastiano. Und Selbstmord war eine Sünde gegen Gott.
Er schloss erneut die Augen, öffnete sie wieder und in dem Moment verloren seine schweißnassen Finger den Halt an der Blecheinfassung des Schornsteins und Sebastiano merkte, wie er das Gleichgewicht verlor und stürzte …
21
»POLIZEI WAR IN DER FINANZPRÄFEKTUR. GRUND UNKLAR. LAGOS.«
Dietrich Gruber löschte die eingegangene SMS sofort. Er hatte sich in Rom eine Prepaid-Karte besorgt, aber man konnte nie vorsichtig genug sein. Er wusste, dass die Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen durchaus auch Käufer von Prepaid-Karten aufnehmen konnten.
Die Technik war einfach zu weit entwickelt, dachte Dietrich schmunzelnd. Als sein Vater noch lebte, war das anders gewesen, da hatte man noch altmodische Tugenden wie Mut und Heldenhaftigkeit in Ehren gehalten.
»War das eine Warnung aus Italien?«, fragte Achim, der mit einem Schinkenbrot in der Hand aus der Küche kam. Achim beobachtete genau, wie es mit der Operation voranging, und das hielt Dietrich für eine gute Sache. Er wollte keinen stumpfsinnigen Handlanger, sondern einen Mann, der in akuten Krisensituationen selbstständig agieren konnte.
Dietrich nickte.
»Den verdammten Pfaffen hätten wir gleich am Anfang zum Schweigen bringen sollen«, sagte Achim.
Dietrich erwiderte nichts. Selbstständiges Denken konnte er gut ertragen, aber er ertrug es nicht, wenn seine rational getroffenen operativen Entscheidungen in die Klauen nachträglicher Besserwisserei gerieten. »Es existiert kein Bindeglied zwischen uns und Pater Sebastiano«, sagte er sanft. »Er kennt nicht einmal meinen Namen, von deinem ganz zu schweigen. Er hat keine Ahnung, wo wir uns in diesem Augenblick aufhalten. Auf jeden Fall schätze ich es sehr, dass er sich an die Vereinbarung gehalten und eine Warnung geschickt hat.«
Dietrich entfernte die in Italien gekaufte SIM-Karte aus seinem Handy und warf sie in den Kamin. Dann nahm er den Schürhaken und fachte die Glut damit an, bis die Karte von Flammen erfasst wurde und schmolz. Nichts durfte dem Zufall überlassen werden.
Anschließend ging er
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