Der Dunkle Code
Rom.
»Kommt der anonyme Hinweis aus dem Vatikan?«, fragte Anna Buretti, die Oberinspektorin aus dem Kulturministerium.
»Ja«, antwortete Bari. »Und ich gehe davon aus, dass das, was ich nun berichte, innerhalb dieser vier Wände bleibt.«
Die beiden anderen nickten. Leutnant Bari hatte bewusst eine Besprechung zu dritt anberaumt, denn über den Hinweis aus dem Vatikan hätte man nicht in Anwesenheit von Kardinal Falcone reden können.
»Schon seit Jahren gibt es Gerüchte über dubiose Bankgeschäfte des Vatikans«, fing Bari an. »Nun ist der Vatikan dem italienischen Staat in Wirtschaftsangelegenheiten ja keineswegs rechenschaftspflichtig. Aber ich habe einen Hinweis, den ich für ziemlich zuverlässig halte. Demzufolge ist der Leiter der internationalen Abteilung der vatikanischen Haushaltspräfektur, ein gewisser Sebastiano Lagos, aufgrund seiner Spielsucht hoch verschuldet. In letzter Zeit hat er sich äußerst unruhig gezeigt. Nebenbei bemerkt handelt es sich bei Lagos um einen spanischen Jesuitenpater.«
»Ein spanischer Jesuit«, schmunzelte Simonis. »Bei denen heiligt der Zweck die Mittel.«
»Nicht bei allen«, gab Bari umgehend zurück. »Aber die Spielsucht ist seit mehreren Jahren als echte Erkrankung anerkannt. Spielsüchtige verlieren häufig die Fähigkeit, den Aufwand von Zeit und Geld zu kontrollieren, den ihre Sucht verschlingt. Unser kleiner Jesuit setzt auf Pferde und besucht hin und wieder ein Casino in Monaco – natürlich inkognito.«
»Wo finden wir diesen Pater Sebastian?«, fragte Anna Buretti.
»Lagos ist krankgeschrieben, wegen Rückenschmerzen. Vermutlich treffen wir ihn zu Hause an, oder eben in Monte Carlo«, sagte Bari.
Romano Simonis stand auf und trat ans Fenster. »Wir schnappen uns den Pater und fühlen ihm auf den Zahn«, sagte er leise. »Aber bitte eine behutsame Festnahme! Keine Carabinieri, sondern Männer in Zivil. Bari, Sie kümmern sich darum.«
Pater Sebastiano Lagos merkte, dass seine Hände wieder anfingen zu zittern. Er nahm die Reproduktion des Bildes von den Versuchungen des heiligen Antonius von der Wand und löste den Briefumschlag, der auf der Rückseite befestigt war. Er enthielt ein dickes Bündel violetter Fünfhunderteuroscheine.
Lagos zählte noch einmal das Geld und legte es sorgfältig in zwei Stößen auf den Wohnzimmertisch. Das Sonnenlicht flutete durch die Fenster der Dachgeschosswohnung im vornehmen Stadtteil Parioli.
Lagos zuckte zusammen. Er glaubte, ein seltsames Pochen jenseits der Wand gehört zu haben, und lauschte eine Weile, aber es drang nichts Außergewöhnliches mehr an sein Ohr.
Er wusste, dass er viel zu nervös war, aber daran war nichts zu ändern. Der Stapel, den er für das Begleichen der Spielschulden vorgesehen hatte, war wesentlich höher als das, was für ihn übrig blieb. Und der erste Gläubiger hatte sich bereits für diesen Abend angekündigt …
Das Telefon läutete fordernd. Pater Sebastiano meldete sich flugs, er wollte seinen Gläubigern nicht den Eindruck vermitteln, ihnen aus dem Weg zu gehen. Aber immer öfter kam ihm der Gedanke an eine Flucht in den Sinn. Die Zinswucherer waren gnadenlos, vor allem wenn sie wussten, dass ihr Opfer ein hohes kirchliches Amt innehatte und es sich nicht leisten konnte, sein Ansehen zu verlieren.
Ein Kollege aus der Haushaltspräfektur war am Apparat, der Franziskanerbruder Pietro. Er sagte, er rufe vom Büro aus an. »Was macht Ihr Rücken, Pater?«, fragte Pietro förmlich.
Pater Sebastiano antwortete ausweichend. Er ahnte, dass im Büro etwas vorgefallen war.
Tatsächlich fuhr Pietro fort: »Es waren Kontrolleure in der Präfektur, Ermittler, die auf Wirtschaftskriminalität spezialisiert sind. Zwar hatten sie die Erlaubnis des Kardinals, aber ein wenig habe ich mich schon gewundert. Schließlich ist der Heilige Stuhl selbst für seine Finanzen verantwortlich. Aber sehen Sie zu, dass Sie bald gesund werden. Ich werde noch den Etatvorschlag der Pariser Nuntiatur bearbeiten.«
Pater Sebastiano war nahezu in Panik, als er den Hörer auflegte. War die italienische Polizei hinter ihm her? Hatte jemand etwas über die Operation durchsickern lassen? Das schien unmöglich.
Er ging in die Küche, ließ Leitungswasser in ein Glas laufen und trank mit zitternder Hand. Wo sollte das alles hinführen? Noch war der erste Gläubiger nicht gekommen, um sein Geld einzutreiben, und der größte Gläubiger würde erst am nächsten Tag erhalten, was ihm zustand.
Plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher