Der dunkle Fluss
leeres Schnapsglas und drehten es langsam auf dem Tisch. »Dein Vater«, sagte sie. Das Glas rollte zwischen ihren langen Fingern herum. »Ein sturer, selbstgerechter Bock. Schwer, ihn zu mögen, aber leicht, ihn zu verstehen.« Sie zeigte ihre kleinen Zähne. »Selbst wenn er sich aufführt wie das größte Arschloch der Welt.
Er wollte nicht, dass ich mit dir spreche. Darum ist er heute Morgen zu mir herausgekommen. Ist angerollt wie das Jüngste Gericht. Wütend, kalt. Hat mich angekläfft, als hätte er das Recht dazu. Solches Benehmen akzeptiere ich nicht. Unsere Unterhaltung wurde ein bisschen hitzig. Ken, der arme Hund, wollte einschreiten, obwohl er es besser wissen sollte — erstens, weil ich keine Hilfe brauchte, und zweitens, weil dein Vater es nicht hinnimmt, wenn ein anderer ihn anfasst.«
»Er hat Ken geschlagen?«
»Bei anderer Gelegenheit hätte er ihn vielleicht umgebracht.«
»Warum war er so wütend?«
»Weil ich mit dir gesprochen hatte.«
»Mit Grace sprechen Sie dauernd.«
»Das ist was anderes.«
»Warum?«
»Weil du das Problem bist, Junge.«
Ich lehnte mich frustriert zurück. »Woher kennen Sie mich? Was kümmert es ihn, ob wir miteinander reden?«
»Ich habe ihm einmal etwas versprochen.«
»Ich habe ein Bild von Ihnen im Schreibtisch meines Vaters gefunden. Es wurde vor langer Zeit aufgenommen. Sie waren mit Dolf und meinen Eltern zusammen.«
Sie lächelte matt. »Ich erinnere mich daran.«
»Erzählen Sie mir, was dahintersteckt, Sarah.«
Sie seufzte und schaute zur Decke. »Es geht um deine Mutter«, sagte sie. »Es geht nur um deine Mutter.« Ein Schmerz explodierte irgendwo in meinem Bauch. »Was ist mit ihr?«
Sarahs Augen waren sehr hell im Halbdunkel. Ihre Hand löste sich von dem Glas und lag flach auf dem Tisch. »Sie war wirklich eine schöne Frau. Wir waren sehr verschieden, und deshalb konnte ich alles an ihr bewundern, aber was sie hatte, das hatte sie gleich doppelt und dreifach. Dich zum Beispiel. Ich habe nie eine Frau gesehen, die eine bessere Mutter war oder ihr Kind mehr liebte als sie dich. In dieser Hinsicht war sie zur Mutter geboren. In anderer Hinsicht eher weniger.«
»Was meinen Sie damit?«
Sarah trank ihr Bierglas aus und redete über mich hinweg. »Sie konnte keine Kinder mehr bekommen«, sagte sie. »Nach dir hatte sie sieben Fehlgeburten. Die Ärzte konnten ihr nicht helfen. Sie kam zu mir, und ich habe sie behandelt.«
»Habe ich Sie damals gesehen? Sie kommen mir bekannt vor.«
»Einmal vielleicht. Ich bin meistens abends gekommen, wenn du geschlafen hast. Aber ich erinnere mich an dich. Du warst ein gutes Kind.« Sie winkte der Barfrau, und die servierte zwei Schnäpse, als habe sie sie schon in der Hand gehabt. Sarah hob ihr Glas und deutete mit dem Kopf auf das andere. Ich nahm es, stieß mit ihr an und trank. Das Zeug brannte, bis es unten war. Sarahs Blick ging in weite Ferne.
»Aber meine Mutter...?«
»Sie wünschte sich so sehnlich ein Baby. Verzweifelt geradezu. Doch die Fehlgeburten zehrten an ihr, körperlich und emotional. Als ich zu ihr kam, hatte sie bereits Depressionen. Als sie dann schwanger wurde, war der Funke wieder da.«
Sarah brach ab und betrachtete mich. Ich hatte keine Ahnung, was sie sah. »Bist du sicher, dass du das alles hören willst?«
»Erzählen Sie einfach weiter.«
»Diesmal ging es bis ins zweite Trimester, bevor sie das Kind verlor. Aber sie verlor es, und mit ihm eine Menge Blut. Sie kam nie darüber hinweg, fand nie wieder neue Kraft. Die Depressionen fraßen sie auf. Den Rest kennst du.«
»Und mein Vater wollte nicht, dass ich das weiß?«
»Manche Dinge gehen nur Mann und Frau etwas an und niemanden sonst. Er ist heute herausgekommen, weil er nicht wollte, dass ich es dir erzähle. Er wollte sich vergewissern, dass ich mein Versprechen halte.«
»Sie haben es mir trotzdem erzählt.« Ihre Augen blitzten hitzig. »Ich scheiße auf ihn, weil er mir nicht vertraut.« Ich dachte über das Gehörte nach. »Es leuchtet mir immer noch nicht ein. Warum liegt ihm so viel daran?«
»Ich habe alles gesagt, was ich sagen werde.«
Meine Hand schlug laut auf den Tisch. Ich hatte nicht gemerkt, dass ich sie bewegt hatte. Ihr Blick wurde still, und ich sah, dass ihre Freunde aufgestanden waren. »Vorsicht«, sagte sie leise.
»Es leuchtet nicht ein«, wiederholte ich.
Sie beugte sich vor, legte ihre Hände auf meine und senkte die Stimme. »Die Komplikationen waren die Folge einer schweren Geburt«,
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