Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
Vom Netzwerk:
um die Telefonleitungen, als wollten sie sie herunterreißen.
    Dort also war Faiths Versteck, tief verborgen im grünen Verfall.
    Ich brauchte zwei Stunden, um es zu finden. Dreimal hielt ich an, um nach dem Weg zu fragen, und je weiter ich kam, desto mehr schwitzte die Landschaft Armut und Verzweiflung aus. Die Straße schlängelte sich einspurig und rissig zwischen niedrigen Hügeln und klebrig riechenden Sümpfen hindurch und endete in einer zwei Meilen langen Schleife um eine Mulde herum, in der es mehr kalten Schatten gab als anderswo.
    Ich war vierzig Meilen weit von Salisbury entfernt, einer der reichsten Städte im Staat, und weniger als sechzig von den silbernen Türmen Charlottes, aber ebenso gut hätte ich in einem anderen Land sein können. Ziegen standen in Drahtpferchen bis an die Hachsen in der Scheiße. Hühnerställe hockten auf der nackten Erde vor Häusern mit Plastiktüten anstelle von Fensterscheiben, verkleidet mit ungestrichenen Sperrholzplatten. Aus den Autos blutete der Rost. Hunde, deren Rippen durch das Fell stachen, lagen schlaff im Schatten herum, und barfüßige Kinder setzten sich mit blickloser Gleichgültigkeit den Flöhen und Würmern aus. In meinem ganzen Leben hatte ich so etwas noch nicht gesehen. Schwarz oder weiß, darauf kam es hier nicht an.
    Hier war das Ende der Gosse.
    Die Mulde hatte einen Durchmesser von vielleicht einer Meile, und ich sah ungefähr zwei Dutzend Hütten, ein paar am Straßen-rand, andere nur schimmelgrüne Schemen hinter Dornengestrüpp und Bäumen, die mit steifen Armen einen Krieg um das spärliche Licht führten. Die Straße zog sich einmal um die Hölle herum, und ich folgte ihr, bis sie mich am Anfang wieder ausspuckte. Dann begann ich die Runde noch einmal, langsamer jetzt, und ich spürte Blicke aus dunklen Räumen hinter zerrissenen Fliegengittern. Eine Tür schlug zu, ich sah eine Frau mit milchigen Augen, die ein totes Kaninchen trug, und ich fuhr weiter und hielt Ausschau nach einer Hausnummer.
    Hinter einer Biegung sah ich einen kleinen Jungen mit einer Haut, die so schwarz war, dass sie violett schimmerte. Er trug kein Hemd und hatte einen runden Bauch, und in der Hand hielt er einen spitzen Stock. Hinter ihm ließ ein staubig braunes Mädchen in einem verblichenen, gelb bedruckten Kleid eine Puppe auf einer Autoreifenschaukel hin- und herschwingen. Mit halb geschlossenen Lidern und schlaffen Mündern starrte sie meinem Auto entgegen. Ich hielt an, und eine riesige Frau brach wie eine Lawine durch eine Tür aus Teerpappe. Sie hatte dicke Fleischrollen um die Knöchel und war unter einem pergamentartigen Kleid ohne jede Form oder Farbe offensichtlich nackt. In der einen Hand hielt sie einen Holzlöffel, von dem eine Sauce tropfte, so rot wie rohes Fleisch. Sie raffte den kleinen Jungen an sich, klemmte ihn unter den Arm und hob den Holzlöffel, als wollte sie mich mit Sauce bespritzen. Ihre Augen funkelten aus tiefen Falten im wulstigen Gesicht.
    »Fahren Sie weiter«, sagte sie. »Belästigen Sie ja nicht die Kinder.«
    »Ma'am«, sagte ich, »ich will niemanden belästigen. Ich suche Haus Nummer neunundsiebzig. Vielleicht können Sie mir helfen.« Sie dachte darüber nach, kräuselte die Lider und presste die Lippen zusammen. Der Junge klemmte immer noch unter ihrem Arm, in der Hüfte gekrümmt, und seine Arme und Beine baumelten senkrecht herunter. »Nummern sagen hier nicht viel«, erklärt sie schließlich. »Wen suchen Sie denn?«
    »Zebulon Faith.«
    Ihr Kopf rollte auf dem kurzen Hals hin und her. »Sagt mir auch nichts.«
    »Ein Weißer. Mitte sechzig. Mager.«
    »Nein.« Sie wollte sich abwenden.
    »Sein Sohn hat rote Haare. Mitte zwanzig. Ein großer Kerl.«
    Sie machte auf einem Fuß kehrt, ließ den Jungen am Handgelenk herunter. Er hob seinen Stock auf und klaute die Puppe von der Reifenschaukel. Das Mädchen hob den Arm und weinte staubige Tränen.
    »Der Rothaarige?«, sagte sie. »Nur Ärger.«
    »Ärger?«
    »Säuft. Heult den Mond an. Hat da hinten einen drei Meter hohen Haufen zerschossene Flaschen. Was wollen Sie von dem?«
    »Er ist tot. Ich suche seinen Vater.« Das war keine Antwort auf ihre Frage, aber es schien sie zufriedenzustellen. Sie schmatzte durch eine Zahnlücke und zeigte die Straße hinauf. »Hinter der Kurve geht 'n Weg nach rechts. Da ist ein Tortenblech an einen Baum genagelt. Da müssen Sie hin.«
    »Danke.«
    »Bleiben Sie von den Kindern weg.«
    Sie riss dem Jungen die Puppe aus der Hand und gab sie

Weitere Kostenlose Bücher