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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Frank
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beharrlich.
    Maria seufzte. Wenn Angelo nicht antwortete, dann konnte sie sich in ungefähr vorstellen, wie Gianluca aussah. Na, hoffentlich nahm er sich die Lehre, die Angelo ihm erteilt hatte, wenigstens zu Herzen und ließ sie fortan wirklich in Ruhe.

 
    Et Urbis et Senarum Signum et Decus.
    Motto der Wölfin (lupa)
     

     
    9
     
    Sonntag, 12. August, vier Tage vor dem Palio
     
    H ier und da konnte Signore Morelli ein verstohlenes Gähnen unter den Männern ringsum beobachten, die in kleinen Gruppen beieinanderstanden und sich mit gedämpften Stimmen unterhielten. Auch er selbst fühlte sich an diesem Morgen, der gerade erst angebrochen war, noch nicht ganz wach. Gleichzeitig spürte er das Adrenalin durch seine Adern schießen, wenn er an den Grund für sein frühes Aufstehen und seine Anwesenheit auf dem Campo dachte: Es ging um die bevorstehende prova di notte, die Nachtprobe.
    Bis jetzt war es auf der Piazza del Campo noch recht leer. An der Nachtprobe, bei der die zur Begutachtung stehenden Pferde von Reitern auf der Bahn vorgeführt wurden, nahmen in der Regel nur einige interessierte Männer aus den Contraden und natürlich die capitani teil, die die Auswahl treffen mussten. In diesem Jahr galt es, aus sechsundzwanzig Pferden die zehn besten auszusuchen.
    Die Atmosphäre war ruhig, die Männer ernsthaft und nicht zu Streitigkeiten aufgelegt. Alle Augen waren auf die Pferde gerichtet, die in kleinen Gruppen zu viert oder fünft gegeneinander antraten.
    Mehr oder weniger fachmännisch besprach man die Vorzüge und Schwachstellen der einzelnen Tiere. Noch ging es nicht ums Gewinnen oder Verlieren, sondern einzig und allein darum, zehn gute und einander möglichst ebenbürtige Pferde herauszufiltern. Deshalb fielen die Sprints eher sporadisch aus und der Wettkampf wurde nicht besonders ernsthaft geführt. Mit Kennerblick verfolgten die Männer die Tiere. Wie verhielten sie sich auf der Bahn? Fiel eins durch besondere Schnelligkeit oder Nervosität auf?
    Signore Morelli blieb für sich und machte sich Notizen, auf die er morgen früh, wenn es um die endgültige Auswahl der Pferde gehen sollte, zurückgreifen konnte. Er lauschte den Gesprächen der anderen, um eventuell Informationen über die Pferde zu erhalten, die ihm neu waren. Hatte eins der Tiere vielleicht gesundheitliche Probleme, von denen die Konkurrenten wussten, er aber nicht? Jedes Detail, und wirkte es zunächst auch noch so unbedeutend, konnte später von Interesse sein.
    Schließlich hatte Signore Morelli die Vor- und Rückseite seines Notizzettels mit teilweise unleserlichen Hieroglyphen vollgeschmiert und seine ganz persönliche Auswahl getroffen. Jetzt wusste er, für welches Pferd er morgen früh, wenn die endgültige Entscheidung anstand, stimmen würde. Und für welches nicht.
    Da die Zuordnung der Tiere zu den einzelnen Contraden erst später erfolgte und zudem vom Los abhängig war, auf das die capitani keinen Einfluss nehmen konnten, war es von besonderer Bedeutung, die Chancen auf einen Sieg möglichst ausgewogen zu verteilen.
    Natürlich wünschte sich jeder capitano für seine Contrade ein Pferd, das in der Lage war, alle anderen zu dominieren. Und in Signore Morellis Augen (und vermutlich nicht nur in seinen) war Fabioncello genau so ein Pferd. Doch trotz der eindeutigen Qualitäten des Hengstes war es nicht sicher, dass er zu den ausgewählten gehören würde. Überragende Tiere wurden oftmals ebenso aussortiert wie solche, die eindeutige Schwächen zeigten.
    Die Stärken, auf die Signore Morelli geachtet und die er sich notiert hatte, bestanden vor allem in Schnelligkeit, Ausdauer, Reaktionsvermögen und Anpassungsfähigkeit an die schwierige Bahn. Denn gerade die rechtwinklige Kurve an der Stirnseite des Platzes neben dem Rathaus, die berühmt-berüchtigte San-Martino-Kurve, erforderte von Pferd und Reiter ein Höchstmaß an Geschicklichkeit. Ein Grund, warum zur Nervosität neigende Pferde selbst dann rigoros aussortiert wurden, wenn sie ansonsten hervorragende Sprinter waren und alle erforderlichen Fähigkeiten mitbrachten. Denn wer die San-Martino-Kurve nicht mit Ruhe und Weitblick anging, dessen Scheitern war vorprogrammiert. Und die Folgen waren oftmals katastrophal.
    Signore Morelli vermochte nicht zu sagen, wie viele Pferde bisher an der San-Martino-Kurve schwer verletzt worden waren oder sogar ihr Leben gelassen hatten. Aber es waren gewiss einige. Anderen war die zweite gefährliche Kurve der Rennstrecke, dem casato,

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