Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
würde?
Maria zog – froh, nicht länger auf das Durcheinander schauen zu müssen – die Zimmertür hinter sich zu und begab sich auf den Weg in den Garten. Sie wusste genau, wo sie zur Ruhe kommen würde.
Die Bank wirkte wie immer sehr einladend. Sie stand etwas abgelegen im hinteren Teil des Gartens, umgeben von blühenden Rhododendronbüschen. Die majestätische Krone eines uralten großen Baumes spendete Schatten. Maria liebte diesen Ort. Sie setzte sich auf die Bank, schloss die Augen und streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. Das letzte Mal, als sie mit Angelo zusammen hier gesessen hatte, waren sie ebenfalls von Gianluca aufgeschreckt worden. Aber davor … Bei der Erinnerung daran, was sie vor Gianlucas Erscheinen getan hatten, spürte Maria ein warmes Kribbeln im Bauch.
Das Knacken eines Astes ließ sie zusammenfahren. Erschrocken riss sie die Augen auf. Was sollte sie tun, wenn es wieder Gianluca war, der sich hier herumtrieb, um ihr aufzulauern, während Angelo auf dem Weg zu ihm war und ihr nicht beistehen konnte? Eine Mischung aus Zorn und Furcht lähmte ihre Gedanken.
Doch schon eine Sekunde später lächelte sie erleichtert, als sie erkannte, wer da mit gesenktem Kopf, den Blick starr auf den Boden gerichtet in der Hoffnung, irgendeinen kostbaren Schatz zu finden – vielleicht einen außergewöhnlich geformten Stein oder ein toten Käfer – auf sie zukam.
Maria freute sich, den schmächtigen, kleinen Jungen zu sehen. Sie mochte den Sohn des Gärtners, der sie mit seiner kindlichen Sichtweise der Dinge oft zum Lachen brachte. Ein Gespräch mit Luigi war genau das, was sie jetzt brauchte, um auf andere Gedanken zu kommen.
»Ja, wen haben wir denn da?«, rief sie ihm entgegen.
»Na, wenn du mich nicht mal mehr erkennst, kann ich ja gleich wieder gehen«, entgegnete Luigi missmutig und klimperte mit seinen langen Wimpern, die dicht und geschwungen wie bei einem Mädchen waren.
»Nein, nein«, sagte Maria rasch und klopfte mit einer Hand auf die Bank neben sich. »Komm nur her, Luigi, ich freue mich, dich zu sehen!«
Luigi zögerte kurz, kam dann aber auf sie zu und setzte sich. Seine Beine zappelten in der Luft und er bohrte mit einem Stock Löcher in den Boden.
»Wie geht es dir? Was machst du so?«, erkundigte sich Maria, froh, ihren eigenen Sorgen für einen Moment entkommen zu können, indem sie sich Luigis anhörte.
Der Junge zuckte mit den Schultern, bevor er antwortete: »Ich mache Exkremente.«
Maria legte die Stirn in Falten. »Was machst du? Exkremente? «
Luigi nickte ernst. »Ja, ich versuche, ein Mittel zu finden, mit dem Erdbeeren schneller wachsen, damit ich nicht immer so lange warten muss, bis sie reif sind und ich sie essen kann.«
»Ach so, du meinst Experimente «, sagte Maria.
»Hab ich doch gesagt, oder?« Luigi schaute sich suchend um. »Wo ist denn dein Angelo? Habt ihr euch gestritten?«, fragte er. Sein Ton klang hoffnungsvoll.
Maria seufzte, als ihr durch Luigis Frage wieder einfiel, warum Angelo nicht bei ihr war. »Er kommt hoffentlich gleich wieder.«
»Wenn er kommt, geh ich aber.«
»Warum?«
Luigi blickte ihr geradewegs ins Gesicht. »Weil ich deinen Angelo nicht mag«, sagte er beinahe trotzig.
»Das ist aber schade«, entgegnete Maria, »ich mag ihn nämlich sehr.«
»Eben, und deswegen finde ich ihn ja doof. Ich finde, du solltest lieber mich heiraten.«
Maria lachte. »Meinst du nicht, du bist ein bisschen zu jung für mich?« Sie überlegte kurz. »Nach dem Sommer kommst du in die Schule, oder?«
Luigi nickte. Dann verzog er das Gesicht. »Du könntest ja warten, bis ich größer bin.«
»Dann bin ich alt und runzlig und du magst mich nicht mehr«, antwortete Maria.
Luigi blickte sie nachdenklich an und musterte sie von oben bis unten. »Vielleicht«, gab er schließlich zu.
»Du musst nur ein bisschen Geduld haben, Luigi«, sagte Maria. »Du wirst schon die richtige Frau treffen, wenn du groß genug bist.«
»Du meinst, ich soll eine wildfremde Frau heiraten?« Luigi klang empört. »Das finde ich aber gar nicht gut.«
Maria musste wieder lachen. »Na, wenn du sie heiratest, ist sie ja nicht mehr wildfremd.«
Luigi stocherte schweigend mit dem Stock in der Erde herum. Er schien über Marias Worte nachzudenken. »Und Angelo? Ist der dir nicht auch fremd?«
»Jetzt nicht mehr«, antwortete Maria.
»Aber er ist doch noch nicht einmal ein Adler, oder?«
Maria zog überrascht die Augenbrauen hoch. Das war doch mal wieder typisch.
Weitere Kostenlose Bücher