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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Frank
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bekleidet waren, vielleicht albern finden. Für Maria gehörte dieses Erscheinungsbild zu dem größten Fest des Jahres einfach dazu.
    Doch heute konnte sie das Spektakel nicht so recht genießen. Ständig drehte sie sich um und suchte in der Menschenmenge nach Angelos Gesicht. Sie hatte sich so viele Sätze zurechtgelegt, die sie ihm sagen wollte. Und sich bereits genüsslich seine Antworten ausgemalt, die selbstverständlich allesamt von Schuldeingeständnissen, Scham, Reue und Liebesschwüren handelten.
    Zu Kreuze soll er kriechen, dachte Maria, während sie sich wie alle anderen vor dem Hochaltar des Doms aufstellte, auf dem jetzt die große weiße Kerze platziert wurde, die zuvor ebenfalls auf dem Ochsenkarren transportiert worden war. Gemeinsam mit Hunderten anderer verfolgte sie, wie das Seidenbanner mit dem Abbild der Madonna im Kirchenschiff aufgehängt wurde. Der Palio – das Objekt der Begierde.
    Marias Objekt der Begierde stand, wie sie feststellen konnte, nur wenige Meter von ihr entfernt im Kreise seiner Anhänger aus der Contrade des Drachen. Und als würde er ihre Blicke spüren, drehte er sich in diesem Moment zu Maria um. Ihre Augen trafen sich. Sofort vergaß Maria alle zuvor so sorgfältig zurechtgelegten Sätze, als sie sah, wie sich sein Mund zu einem strahlenden Lächeln verzog. Nichts in seinem hübschen Gesicht deutete auf Wut oder Streit hin. Im Gegenteil schien ihr Anblick ihn zutiefst zu erfreuen. Auf der Stelle verpuffte ihr Zorn und ließ nichts weiter zurück als Verständnislosigkeit. Sie hatte geglaubt, Angelo würde ihr den Streit während des Proberennens übel nehmen. Vielleicht weil er glaubte, sie hätte gegen ihn Partei ergriffen. Doch jetzt kam es ihr eher so vor, als wäre er erleichtert, sie zu sehen. Und als hätten ihn ähnliche Befürchtungen gequält wie sie: dass sie ihm sein Verhalten nachtragen würde.
    In diesem Moment hätte Maria nichts lieber getan, als sich in seine Arme zu stürzen. Doch zwischen ihnen standen Dutzende mehr oder weniger fremde Menschen, der Ort und der Anlass waren denkbar ungeeignet für jede Form von Aussprache. Sie musste sich also gedulden und bis zum Ende der Zeremonie warten.
     
    Als Angelo dann endlich vor ihr stand, war ein Teil von Marias Streitlust zurückgekehrt. Immerhin hatte sie mehrere Nachrichten auf seiner Mailbox hinterlassen und wiederholt um Rückruf gebeten. Doch nicht einmal ihre Tränen hatten ihn dazu bewogen, sich bei ihr zu melden! Mit vor der Brust verschränkten Armen erwartete sie ihn auf dem Platz vor dem Domportal, äußerst gespannt zu erfahren, welche Begründung er für sein Verhalten hatte.
    Strahlend und mit ausgestreckten Armen kam er auf sie zu, doch Maria gab sich unerbittlich und hielt ihm zur Begrüßung lediglich die Wange hin.
    »Was ist?«, wollte Angelo wissen, dem Marias Reserviertheit natürlich nicht entging.
    All die wunderbaren Sätze, die Maria sich zurechtgelegt hatte, waren plötzlich aus ihrem Kopf verschwunden. Stattdessen fragte sie einfach: »Warum hast du nicht zurückgerufen?«
    »Zurückgerufen?« Angelo runzelte die Stirn. »Hast du denn versucht, mich zu erreichen?«
    »Ich tue nichts anderes!«
    »Mein Handy ist kaputt.«
    Diese Antwort nahm Maria allen Wind aus den Segeln, obwohl sie für eine Sekunde nicht wusste, ob sie ihm glauben sollte. Doch hatte er ihr während der Dauer ihrer Freundschaft je einen Anlass gegeben, an seinen Worten zu zweifeln?
    »Du hättest dich trotzdem irgendwie bei mir melden können«, antwortete sie und ihre Stimme klang schon etwas weicher.
    »Ja, du hast recht«, gab Angelo zu. »Aber weißt du, so kurz vor dem Palio wollen natürlich alle was von mir. Ich hatte keine einzige ruhige Minute.«
    Und wie zur Bestätigung seiner Worte legte ihm in diesem Augenblick der capitano del drago die Hand auf die Schulter. »Kommst du, Angelo? Wir müssen …«
    Maria seufzte.
    Angelo zuckte die Schultern. »Es tut mir leid«, sagte er leise. »Ich komme später bei dir vorbei. Dann reden wir, ja?«
    Sie nickte stumm.
    »Ich liebe dich«, flüsterte Angelo ihr ins Ohr – und war im nächsten Augenblick auch schon wieder verschwunden.
    »Ich liebe dich auch«, erwiderte Maria leise.
    Aber es war schon niemand mehr da, der ihre Antwort hören konnte.

 
    Mein Schwung schlägt jedes Hindernis.
    Motto des Panthers (pantera)
     

     
    13
     
    Montag, 16. August 1880, der Tag des Palio
     
    W ie es sich geziemte, stand Eva Maria bei ihrer Familie und nahm alle guten

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