Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Frank
Vom Netzwerk:
verlegen, wenn er mit Maria oder gar mit Signore Morelli sprach. Auch jetzt knetete er schüchtern seine Finger.
    »Mir geht es auch gut. Und ich bin sehr froh, dass ich Sie treffe«, antwortete Maria und beobachtete interessiert, wie Signore Zanollis Gesicht die Farbe wechselte. Als er nichts erwiderte, fuhr sie fort: »Dieser Baum …« Sie deutete auf das Gerippe aus kahlen Ästen. »… haben Sie eine Ahnung, was mit ihm los ist?«
    Signore Zanollis Blick huschte für einen Augenblick zu Luigi, der jetzt angelegentlich seine leeren Hände begutachtete, dann wandte er sich wieder an Maria. »Ehrlich gesagt weiß ich es auch nicht, Signorina, aber offensichtlich ist er krank.«
    »Ja, das denke ich auch«, sagte Maria und versuchte, nicht zu viel Ungeduld in ihre Stimme zu legen. »Was für eine Krankheit könnte das denn sein?«
    Jetzt zuckte der Gärtner die Schultern. »Vielleicht ein Befall von irgendwelchen Schädlingen …«
    »Gibt es dafür Anzeichen?«
    »Ich werde es mir mal genauer ansehen«, erklärte Signore Zanolli.
    Maria nickte. »Das wäre nett. Und ich wäre Ihnen auch dankbar, wenn Sie mir anschließend sagen könnten, was Sie herausgefunden haben.«
    »Natürlich, Signorina«, versprach Signore Zanolli und schaute dabei wieder zu seinem Sohn. »Komm jetzt, Luigi. Wir wollen Signorina Morelli nicht länger stören.«
    »Ich störe Maria nicht, stimmt’s?«, erwiderte Luigi, aber trotzdem folgte er seinem Vater ohne weitere Widerworte, wobei er sich weiterhin mit der schweren Gießkanne abschleppte.
    Maria blickte den beiden lange hinterher. Besonders beruhigend klang die Antwort des Gärtners auf ihre Frage nach dem Baum nicht gerade. Aber vermutlich musste sie sich für den Augenblick damit zufriedengeben.
    Sie griff nach ihrem Lehrbuch, legte es dann jedoch nur auf den Schoß, ohne hineinzublicken. Angelo hatte immer noch nicht zurückgerufen und allmählich wich Marias Sorge und Verletztheit einer unbändigen Wut. Was bildete sich dieser Idiot eigentlich ein? Wieso glaubte er, er könne so mit ihr umspringen? Sie hatte das unbändige Bedürfnis, mit jemandem über das zu reden, was ihr widerfahren war. Und natürlich dachte sie dabei in erster Linie an Angelo. Doch offensichtlich hatte er zurzeit Wichtigeres zu tun.
    Vielleicht sollte sie mit ihrem Vater reden? Aber auch diese Idee schob sie schnell beiseite. Erstens war Filippo gerade ebenfalls nur mit dem Palio beschäftigt – auch jetzt musste er sich wieder auf die heute bevorstehende Kerzenprozession vorbereiten –, und zweitens konnte sie sich genau vorstellen, wie ihr Vater auf die Geschichte reagieren würde. Und auf diese Mischung aus Besorgnis über ihren Geisteszustand und Geringschätzung für ihre blühende Fantasie konnte sie getrost verzichten. In Momenten wie diesen vermisste sie ihre Mutter am meisten. Würde sie noch leben, könnte sie ihr bestimmt helfen! Eine Weile lang überlegte Maria, ob sie Claudia anrufen sollte. Doch auch diese Idee verwarf sie schnell wieder. Am Telefon erklären zu müssen, was in den letzten Tagen alles geschehen war, konnte sie sich ebenso wenig vorstellen. Vermutlich würde ihre Freundin sie nur für verrückt erklären, wenn sie es versuchte.
    Entschlossen legte Maria ihre Arbeitsunterlagen zusammen. Sie konnte sich heute sowieso auf nichts konzentrieren. Wenn Angelo meinte, er könnte sie einfach so hängen lassen, dann hatte er sich verdammt noch mal geirrt.
    Maria wusste, wo sie ihren Verlobten finden würde. Und dort würde sie ihn zur Rede stellen. Ob der Ort dafür nun passend war oder nicht. Basta!
     
    Trommelwirbel und Trompeten begleiteten Maria, als sie sich gemeinsam mit den Mitgliedern ihrer Contrade – die meisten von ihnen in bunten Kostümen mit dem Wappen des Adlers – dem Dom näherte, wo der cencio aufgehängt werden sollte.
    An der Kerzenprozession nahm sie normalerweise sehr gern teil. Obwohl es sich genau genommen nur um die Generalprobe für den Festzug am Tag des Palio handelte, genoss sie das Farbenmeer und die festliche Stimmung, während sich die Fahnenschwinger, Trommler und Repräsentanten der Contraden in ihren bunten Gewändern ihren Weg durch die Gassen Sienas bahnten, gefolgt von dem reich geschmückten, ochsenbespannten Triumphwagen, auf dem die Siegertrophäe, das Seidenbanner, ins Gotteshaus gebracht wurde. Wer nicht aus Siena stammte, der mochte die Kostüme der Männer, die mit kurzen Samtröckchen, passenden Strumpfhosen und voluminösem Kopfschmuck

Weitere Kostenlose Bücher