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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Frank
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Schließlich waren beide Pferde gleichauf, als Genesio mit seinem Ochsenziemer ausholte und Lorenzo gezielt vor die Brust schlug. Eva Maria meinte, ihren Verlobten vor Schmerz aufschreien zu hören, was aber in Anbetracht des herrschenden Lärms ummöglich war und ihrer Fantasie entsprungen sein musste.
    Zwar war es beim Palio gestattet, selbst die anderen Reiter mit dem nerbo zu attackieren – jedoch galten der Panther und der Adler als Verbündete und ein derart rücksichtsloses Vorgehen würde nicht jedem Panther-Anhänger gefallen, dessen war sich Eva Maria sicher. Ihr Vater hingegen schien an dem derben Gebaren seines fantino nichts Anstößiges zu finden. Aus voller Kehle feuerte er Genesio an.
    Obwohl das gar nicht mehr nötig war. Die Ziellinie bereits vor Augen, begann Lorenzos Pferd plötzlich zu taumeln, als hätte es nicht mehr genug Kraft, sich fortzubewegen, geschweige denn einen Reiter auf seinem Rücken zu tragen. Die Vorderbeine knickten ein und Lorenzo rutschte über den Hals der Stute hinweg zu Boden, während Genesio auf Pilato an ihm vorbeizog und zum Endspurt ansetzte.
    Eva Maria schrie auf. Doch Lorenzo stand bereits wieder und versuchte mit allen Mitteln, den Fuchs auf die Beine zu ziehen. Vergebens. Lunas Hinterbeine zuckten krampfartig. Das hübsche Tier hob den Kopf, hatte aber nicht mehr genügend Kraft, um sich zu erheben. Noch einmal ging ein Zucken durch den Pferdekörper, dann blieb er regungslos liegen.
    Als könnte sie von dieser Seite Hilfe erwarten, wandte sich Eva Maria zu ihrem Vater um, aber auch in seinem Gesicht sah sie nur blankes Entsetzen. Mit starrer Miene schaute er unverwandt geradeaus, als suche er jemanden in der Zuschauermenge. Und als sie seinem Blick folgte, erkannte sie den jungen Mann, der ihrem Vater vor dem Rennen zugenickt hatte. Auch sein Gesicht war jetzt aschfahl und er schüttelte ungläubig den Kopf.

 
    Als Erste die Selva auf dem Campo.
    Motto des Waldes (selva)
     

     
    14
     
    Dienstag, 14. August, abends, zwei Tage vor dem Palio
     
    M eist wird nach der Akutphase eine Koronarangiografie durchgeführt, um festzustellen, ob das Risiko eines Zweitinfarkts durch PTCA gesenkt werden kann. Hyperchloesterinämie und Hypertonie als Risikofaktoren müssen konsequent behandelt werden.
    Schwungvoll klappte Maria das Buch zu. Sie hatte diesen verdammten Absatz jetzt dreimal gelesen, ohne auch nur ein einziges Wort zu verstehen. Es war wohl besser, einzusehen, dass sie sich im Augenblick nicht auf die Pflege bei Herzerkrankungen konzentrieren konnte, solange ihre eigene Herzerkrankung nicht geheilt war.
    Wo, zum Henker, blieb nur Angelo? Er wollte schon vor einer halben Stunde hier sein! Sie musste sich selbst zu mehr Verständnis ermahnen, dass er jetzt, zwei Tage vor dem Palio, eine Menge Dinge zu erledigen hatte.
    Ungehalten stieß Maria die Luft aus und stand von ihrem Bett auf. Mit etwas Abstand kamen ihr die Ereignisse an diesem Morgen selbst ein wenig unglaubwürdig vor. Sicher würde ihr Angelo irgendeine plausible Erklärung anbieten: Lichtreflexe, Spiegeleffekte, spezielle Eigenschaften von Wasserdampf … Was auch immer. Und bestimmt würde es ihr besser gehen, sobald sie ihm alles erzählt hatte und er ihre Ängste und Sorgen mit einem liebevollen Lächeln hinwegwischte und ihr versicherte, dass nichts und niemand sie jemals trennen würde. Nicht einmal ein Geist. Und schon gar kein belangloses Pferderennen.
    Voller Ungeduld schritt sie auf und ab, öffnete schließlich ihre Zimmertür und machte sich auf den Weg in die Eingangshalle, damit sie Angelo öffnen konnte, sobald er klingelte.
    Der lange Flur im ersten Stock des Hauses war stockfinster. Selbst bei Tageslicht herrschte hier nur Dämmerlicht. Doch jetzt war es draußen bereits dunkel und Maria konnte kaum ihre Hände vor den Augen sehen. Sie kannte diesen Flur seit ihren Kindertagen, trotzdem kam er ihr in diesem Moment unheimlich vor. Sie betätigte den Lichtschalter, der neben ihr an der Wand war, und mit einem surrenden Geräusch gingen an der Decke die modernen Spotlights an und beleuchteten die Porträts der Ahnengalerie.
    Auch das von Eva Maria.
    Zum ersten Mal bemerkte Maria, dass ihre Vorfahrin sie direkt anzublicken schien. Wie die Mona Lisa. Selbst als sie genau vor dem Gemälde stehen blieb, schienen Eva Marias Augen sie immer noch zu mustern. Allerdings fehlte ihr das Lächeln, das das berühmte Bild Leonardo da Vincis auszeichnete. Im Gegenteil sah Eva Maria sehr ernst aus. So

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