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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Frank
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Augen und reckte ihr Gesicht der wärmenden Sonne entgegen. Sie spürte, wie sie sofort ruhiger wurde. Bei diesem Wetter war es schwer, an Geister zu glauben. Trotzdem konnte sie das Bild der wie durchscheinend wirkenden jungen Frau, die ihr über die Schulter schaute, nicht aus dem Kopf kriegen. Sie öffnete die Augen und ihr Blick fiel auf den Baum, der seine kahlen Äste wie Hilfe suchend dem Himmel entgegenstreckte. Sie würde mit Signore Zanolli, dem Gärtner, darüber reden müssen. Gewiss hatte er eine logische Erklärung dafür, warum der Baum im Hochsommer all seine Blätter abwarf. Und gewiss würde Angelo ihr sagen können, warum sich aus dem Wasserdampf der Dusche ausgerechnet das Gesicht von Eva Maria geformt hatte. Ganz bestimmt gab es für all das eine logische Erklärung!
    Maria seufzte und öffnete ihr Krankenpflegebuch an einer x-beliebigen Stelle; es konnte sicherlich nicht schaden, wenn sie das eine oder andere schon mal durchlas. Schließlich sollte sie in zwei Wochen ihre Ausbildung zur Krankenschwester beginnen. Sie freute sich darauf, auch wenn sie die freie Zeit seit dem Abitur genossen hatte. Doch in den letzten Wochen waren ihr die Tage immer länger vorgekommen. Es wurde Zeit, sie wieder mit etwas Sinnvollem zu füllen. Müßiggang lag ihr einfach nicht.
    Teufelsgrinsen. Umschreibt umgangsprachlich das Symptom Risus sardonicus , ein verzerrtes Grinsen durch Krämpfe der Gesichtsmuskulatur, bei Befall durch Clostridiun tetani, also Tetanus oder Wundstarrkrampf.
    Maria studierte das Fallbeispiel, das in dem Buch mit dem Titel Pflege heute unter dem Text abgebildet war. Ein vielleicht elf- oder zwölfjähriger Junge hatte den Mund sichtbar unfreiwillig zu einem wahrhaftig diabolischen Grinsen verzerrt. Musste sie das Lehrbuch ausgerechnet an dieser Stelle öffnen? Es schien, als würde sie heute vom Reich der Schatten geradezu verfolgt! Geistererscheinungen, satanisches Grinsen. Was würde als Nächstes kommen?
    Luigi.
    Er schleppte sich mit einer riesigen Gießkanne ab, die – wenn sie bis oben hin gefüllt war – vermutlich genauso viel wog wie der Junge, der sie trug. Und nach dem Ächzen und Stöhnen zu urteilen, das er von sich gab, war sie bis oben hin voll.
    »Puh«, machte Luigi, nachdem er die Kanne vor Marias Füßen abgestellt hatte, und ließ sich auf die Bank plumpsen.
    Maria klappte ihr Buch zu und fragte: »Was hast du denn da drin?«
    »Mein selbst erfundenes Pflanzenwachstumsmittel.«
    »Und wohin gehst du damit?«
    »Zu den Erdbeeren hinten im Beet. Hab ich doch erzählt. Ich will ein Mittel finden, das sie schneller wachsen lässt.«
    »Und? Sind sie schon gewachsen?« Maria warf einen skeptischen Blick auf die stinkende Brühe, die vor ihr in der Kanne hin und her schwappte. Vielleicht sollte sie dieses Jahr mal auf Erdbeeren verzichten? Zumindest auf die aus dem eigenen Garten.
    Luigi zuckte mit den Schultern und blickte stur geradeaus, während er antwortete: »Ich glaube, ich habe noch nicht die richtige Mischung gefunden.«
    Maria erinnerte sich, dass dieses Wachstumsexperiment nicht das erste war, das den Jungen beschäftigte. Einmal hatte er versucht, eine besondere Gattung Regenwürmer zu züchten, die besonders groß werden sollten. Ungefähr so wie Schlangen. Allerdings hatte er das Projekt nach kurzer Zeit eingestellt. Ohne Ergebnis.
    »Ich hab eine tote Maus gefunden«, verkündete Luigi jetzt mit leuchtenden Augen. »Willst du mal sehen?« Er griff bereits in seine Jackentasche.
    Maria, die allein bei der Vorstellung, der Junge trage eine tote Maus in seiner Jacke mit sich herum, Schweißausbrüche bekam (und außerdem der Meinung war, dass sie für einen einzigen Tag genug Tote gesehen hatte), suchte hektisch nach einer Ausrede, um sich diesen Leichnam nicht auch noch anschauen zu müssen. Deshalb war sie außerordentlich froh, als der Ruf »Luigi!« durch den Garten schallte und ihr eine Antwort ersparte.
    Luigi jedoch verzog enttäuscht das Gesicht.
    »Dein Vater ruft dich«, stellte Maria überflüssigerweise fest.
    »Hab ich gehört«, nuschelte Luigi.
    In diesem Moment erschien Signore Zanolli, der bei dem Anblick seines Sohnes neben der Tochter des Hauses ein strenges Gesicht aufsetzte. »Luigi, ich habe dir doch gesagt, dass du nicht allein hier rumlaufen sollst. Guten Tag, Signorina.«
    »Guten Tag, Signore Zanolli. Wie geht es Ihnen?«
    »Oh danke, sehr gut. Und Ihnen?« Signore Zanolli war, ganz im Gegensatz zu seinem Sohn, immer ein wenig

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