Der dunkle Geist des Palio (German Edition)
bläulich schimmerte. Und so passte der Name des Hengstes, Mirtillo – Blaubeere – ausgesprochen gut.
Maria betete darum, dass der Startrichter als Nächstes den Drachen aufrief. Eine Position an der Innenseite der Bahn wäre gut für Angelo. Normalerweise hätte sie gehofft, dass Fernando und Angelo als Verbündete nebeneinander Aufstellung nahmen. Doch sie fürchtete, dass zwischen den beiden immer noch böses Blut herrschte, nachdem Fernando Angelo im ersten Proberennen so hart angegangen war. Deshalb war es vielleicht besser, wenn die beiden weit voneinander entfernt standen.
An diesem Punkt ihrer Überlegungen angekommen, merkte Maria, dass ihr Herz anscheinend stärker für den Drachen schlug als für ihre eigene contrada, den Adler. Warum wünschte sie nicht, dass der Mossiere den Adler als Nächstes aufforderte, seine Startposition einzunehmen?
»Torre«, sagte der Startrichter in diesem Augenblick und der fantino des Turms, Giorgio, verließ mit seiner Stute Fairway den als Führring abgegrenzten Bereich.
»Onda«, verkündete der Startrichter jetzt, und der Jockey der Welle machte sich mit seiner bildhübschen Stute Stella auf den Weg zwischen die Startseile.
Maria fluchte innerlich. Mit jeder Position weiter weg von der kurzen Innenseite der Bahn sanken die Chancen auf einen Sieg. Zugleich stieg die Gefahr, dass Fernando und Angelo einen Platz nebeneinander in der Mitte fanden oder – schlimmer noch – die Feindin des Adlers, der Panther, neben Fernando zur Aufstellung kam. Maria überlegte, ob sie ihre Hoffnungen bereits jetzt darauf setzen sollte, dass Fernando (oder doch lieber Angelo?) der zehnte Platz an der Außenseite der Bahn zugewiesen wurde. Denn diese Position, die rincorsa, ermöglichte dem Reiter, den Startzeitpunkt zu bestimmen und sich aus dem Getümmel der nervösen Pferde und drängelnden Jockeys herauszuhalten. Erst wenn er lospreschte, wurde das Rennen gestartet.
»Pantera«, ließ sich die Stimme des mossiere vernehmen und damit war für Maria eindeutig klar, dass sie nur darauf hoffen konnte, dass Fernando die zehnte Position einnehmen musste.
»Drago«, sagte der Startrichter und Maria atmete erleichtert auf. Wenigstens stand der Adler nicht unmittelbar neben seinem Feind. Aber Angelo würde mit diesem Platz in der Mitte nicht zufrieden sein.
Nun standen bereits fünf Pferde dicht gedrängt am Startseil und allmählich verbreitete sich unter den Wartenden Unruhe. Stella, die Stute mit der sternförmigen Blesse, die für die Welle laufen sollte, wurde zwischen Fairway und Pinnochio fast zerdrückt und machte ihrem Unmut mit heftigem Kopfschlagen Luft. Bevor sie jedoch steigen konnte, wurde sie von ihrem Reiter mit einem gezielten Schlag der Reitgerte dazu gebracht, nach hinten auszubrechen. Fabio ließ die Stute hinter den anderen Pferden zwei Runden im Kreis gehen, damit sie sich beruhigte, dann führte er sie an ihre Position zurück.
»Aquila!«, fuhr der mossiere fort und Maria stieß einen leisen Fluch aus. All ihr Hoffen und Beten hatte nichts genutzt. Auch Fernando stand – noch dazu genau neben Angelo – auf einer der mittleren Positonen. Die denkbar schlechteste Ausgangssituation für einen guten Start.
»Lupa!«
Maria und Claudia warfen sich einen Blick zu und verzogen beide zugleich die Mundwinkel. Die Aufstellung der noch fehlenden Contraden war für sie nicht mehr von großem Interesse, aber als Angehörige der contrada dell’ aquila konnten sie mit diesem Ergebnis nicht zufrieden sein.
»Oca.«
Die Jockeys tuschelten miteinander. Hier und da wurden nur Minuten vor dem Start neue Verabredungen getroffen und alte gelöst. Das Nicken oder Kopfschütteln fiel in jedem Fall sehr dezent aus, fast unmerklich, denn der fantino, der dabei erwischt wurde, wie er mit gegnerischen Contraden Abkommen traf, durfte mindestens mit einer saftigen Tracht Prügel im Anschluss an das Rennen rechnen.
»Leocorno!«
Die Stute Farfalla wurde von Marcello auf ihre Position geführt, und sofort begann der Jockey des Einhorns damit, die anderen fantini nach innen abzudrängen.
»Selva.«
Dass der mossiere die zehnte Contrade noch nannte, war lediglich eine Formalität. Auch ohne die Nennung des Namens hätte jeder auf dem Platz gewusst, dass selva, der Wald, in den Genuss der rincorsa kam und den Startzeitpunkt bestimmen würde.
Während sich die neun Pferde am vorderen Startseil drängelten und die Jockeys bereits jetzt alles taten, um ihre Kontrahenten zu behindern,
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