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Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Der dunkle Geist des Palio (German Edition)

Titel: Der dunkle Geist des Palio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Frank
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auf den Höhepunkt des Palio: das eigentliche Rennen.
    An fest vereinbarten Stellen der Bahn warfen die Fahnenschwinger der Contraden, die alfieri, zu Trommelwirbeln ihre Fahnen hoch. Wenn eine Fahne besonders hoch flog, was als gutes Omen für das Rennen gewertet wurde, ertönte begeisterter Jubel aus der Menge.
    Die vielfältigen Fahnenschwünge trugen alle eigene Namen, von denen manche nach traditionellen Mustern ausgeführt wurden, andere wiederum neu erfunden waren. Dazu erklang immer wieder der passo della Diana, ein spezieller Trommelwirbel, der ausschließlich während des historischen Festzugs gepielt wurde. Doch jede contrada kannte auch ihre eigenen Trommelwirbel und Fahnenschwünge, die von klein auf geübt wurden. Und nur die besten Trommler und Fahnenschwenker erhielten die Ehre, beim corteo storico mitzumachen.
    Endlich fand der Festzug an der mit einem weißen Tuch behängten Tribüne vor dem Palazzo Pubblico sein Finale und die capitani, darunter auch Signore Morelli, nahmen neben den anderen Würdenträgern ihre Plätze ein. Ein letztes Mal warfen die Fahnenträger der siebzehn Contraden ihre Fahnen hoch in die Luft und fingen sie wieder auf, bevor die Trompeten erklangen und der carroccio, der Triumphwagen, mit dem Banner vor der Tribüne ankam. Das Banner wurde vom Wagen gehoben, auf das Podest für die Richter am Start– und Zielpunkt getragen und dort für alle gut sichtbar aufgehängt.
    »Na endlich!«, stöhnte Claudia. »Ich dachte schon, dieser Umzug läuft in Echtzeit, dauert drei Jahrhunderte und endet niemals mehr!«
    Alessandro lachte und küsste Claudia auf die Lippen.
    Maria wandte den Kopf ab. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann hätte dieser Umzug niemals enden müssen. Denn ihre Angst, dass Angelo etwas zustoßen könnte, wuchs von Sekunde zu Sekunde.
    Ein Böller krachte und jetzt kamen die Reiter auf ihren Pferden aus dem Innenhof des Palazzo Pubblico. Maria entdeckte sowohl Fernando im gelben Kostüm des Adlers als auch Angelo in dem grün-roten Kostüm des Drachen sofort. Und sie hörte auch die begeisterten Rufe der Zuschauer: »Angelo volante!«
    Fliegender Engel!
    Claudia zwinkerte Maria zu, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: »Er sieht wirklich gut aus, dein Angelo.«
    Maria bemühte sich zu lächeln. Jetzt war nun wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt, ihrer Freundin zu erklären, dass sie gar nicht wusste, ob es tatsächlich noch ihr Angelo war.
    Die fantini brachten ihre Pferde zum Startpunkt und Maria stellte erschrocken fest, wie nervös Ambrosa war. Die Stute tänzelte und versuchte zu steigen, und Angelo hatte alle Mühe, sein Pferd unter Kontrolle zu halten. Sobald ihr eines der anderen Pferde zu nah kam, schlug Ambrosa mit dem Kopf und bockte. Maria hoffte inständig, dass Angelo keinen Startplatz in der Mitte zugewiesen bekam, wo sein Pferd von links und rechts zugleich bedrängt werden würde.
    Endlich hatten die Jockeys den provisorischen Führring erreicht und drehten dort ihre Runden. Auch Ambrosa beruhigte sich, als sie nun nichts anderes zu tun brauchte, als hinter den anderen Pferden her im Kreis zu gehen, bis der mossiere, der Startrichter, die Startreihenfolge bekannt gab.
    Die Reihenfolge wurde mit einem besonderen Instrument ausgelost. Im Inneren eines Hohlraums befanden sich zehn hölzerne Kugeln in den Farben der Contraden, die an dem Rennen teilnahmen. Auf diesen Hohlkörper wurde ein schmaler Zylinder geschraubt, in den die zehn Holzkugeln in einer willkürlichen Reihenfolge hineinrutschten, sobald man den Hohlkörper umdrehte. Auf dem Zylinder waren zehn Öffnungen, die zunächst noch mit einer beweglichen Scheibe verschlossen waren und erst geöffnet wurden, wenn die fantini den Führring erreicht hatten. Dann konnte der mossiere die einzelnen Contraden ermitteln, indem er nach und nach die Scheiben zur Seite schob und nachsah, welche Kugel an welcher Position lag.
    »Istrice«, verkündete er jetzt durch ein Mikrofon und alle Menschen auf dem Platz wiederholten den Namen der contrada wie in einem gemeinsamen Gebet: »Istrice.«
    Der Jockey des Stachelschweins führte sein Pferd als Erster aus dem Führring zwischen die beiden gespannten Seile. Es war ein junger und noch recht unerfahrener Reiter, ein Greenhorn, der jedoch mit diesem bevorzugten Platz an der Innenseite der Bahn einen kostbaren Trumpf in die Hand gespielt bekam. Er ritt einen wunderschönen Rappen, dessen Fell so tiefschwarz war, dass es schon fast

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