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Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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Taschen und legte das »Manifest« vor Casey auf den Tisch.
    »Sie meinen die Verfasser davon?«
    »Genau. Der Parteiführer ist ein komischer Kauz namens Andrassin, der von der alten Monarchie wegen Aufwiegelung des Landes verwiesen wurde und nach New York ging, wo ich ihn kennenlernte. Er hatte in der East Side einen Buchladen. Ich pflegte dort zu schmökern, habe auch einiges gekauft. Einen Montaigne von Florio in Kalbsleder hat er mir für einen Nickel überlassen. So war er, wenn er einen mochte. Er ist ein gutmütiger Kerl und ziemlich intelligent. Ich habe viele Stunden mit ihm verplaudert und dabei sehr viel gelernt. Ich konnte mich revanchieren, indem ich ihm aus einigen Schwierigkeiten herausgeholfen habe. Der Mann ist ein überzeugter Sozialist, und er regte sich immer fürchterlich über das elende Leben der Bauern auf. Als die Republik proklamiert wurde, warf er seinen Hut in die Luft und kehrte zurück in sein Vaterland. Heute sagt er, daß die Republik noch schlimmer ist, als die Monarchie es war. Wenn man ihn über seine Landsleute reden hört, so denkt man, es wäre ihnen am meisten geholfen, wenn sie aussterben würden. Trotzdem versucht er, sie zu organisieren und etwas Verstand in ihre Dickschädel hineinzuhämmern. Es ist ein Volk von Tölpeln, sagt er, und man muß mit ihnen lallen, sonst verstehen sie einen nicht.«
    »Daher wohl auch der quasireligiöse Ton seines Pamphlets«, warf Carruthers ein.
    »Ideale«, sagte Casey, »sind Amerikas Hauptprodukt. Darum mußten wir auch Verkaufstaktik und Publicity erfinden, weil ohne diese die Idealbranche schon längst Pleite gemacht hätte. Als Andrassin in den Staaten war, fiel er voll und ganz auf einen leidenschaftlichen Wanderprediger herein, das heißt, auf seine Methoden. Er war der Meinung, daß sie alles Nötige über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung wußten. Und dabei ist Andrassin, wie ich schon sagte, ein ziemlich gescheiter Mann. Kaum war ich hier, ist er mir zufällig über den Weg gelaufen. Er hat mir einiges klargemacht. Der Hinweis auf die Mörder Rovzidskys zum Beispiel und anderes mehr. Er hat mir auch gesagt, daß momentan ziemlich viel passierte, was er nicht verstand. Nichts Konkretes, es lief nur darauf hinaus, daß die Kapitalistische Partei – er redet immer in solchem Jargon – für manche Leute sehr unangenehm werden kann. Er hat mir sicher lange nicht alles gesagt, was er weiß. Er sagt, daß die Fortschrittliche Bauernpartei bereit sein werde, wenn die Stunde komme. Ich habe noch nie von einer politischen Partei gehört, die nicht behauptete, bereit zu sein, wenn die Stunde kommt. Das Dumme ist bloß«, schloß Casey düster, »daß sie den richtigen Zeitpunkt nie kennen.«
    Er zündete sich eine neue Zigarette an und rauchte einen Augenblick lang mit nachdenklichem Gesichtsausdruck, dann wandte er sich wieder an Carruthers.
    »Ich nehme an, Sie fragen sich, warum um alles in der Welt sich die Tribune für die innenpolitischen Wirren Ixaniens interessiert?«
    »Allerdings«, sagte Carruthers.
    »Die Ixanische Regierung möchte ein verdammt großes Darlehen bei uns aufnehmen. Wenn die Gefahr eines Staatsbankrotts besteht, so möchten sie es drüben in Washington lieber schon jetzt wissen.«
    »Aber um Himmels willen, wer würde denn Ixanien Geld leihen?«
    »Ja, wer denn wohl? Die Bankiers natürlich. Einmal ganz abgesehen davon, daß diese Leute nichts lieber tun, als Geld, das sie nicht haben, an ihre Gläubiger verleihen, damit diese dann zurückzahlen können, was sie eigentlich gar nicht schuldig sind, hat Ixanien durchblicken lassen, daß es hier Öl gibt.«
    »Dann könnten sie natürlich Konzessionen verkaufen.«
    »Dann könnten sie, aber sie können es nicht, und zwar aus einem ganz simplen Grund, Professor, weil es nämlich gar kein Öl in Ixanien gibt. Das wenigstens ist meine Meinung. Sie erlauben keine Bohrungen, und sie sagen auch nicht, wo das Öl ist. Ich glaube, sie sind überhaupt nur deshalb auf diese verrückte Idee gekommen, weil sie Nachbarn Rumäniens sind. Und wenn sie kein Öl haben, dann muß ihnen das Wasser bis zum Hals stehen, weil sie es sonst mit so einem unverschämten Bluff überhaupt gar nicht erst versucht hätten. Auf so etwas kann auch wirklich bloß ein internationaler Bankier hereinfallen. Diese Vögel brauchen keine Begründung, um Geld zu verleihen, sondern Vorwände dafür.«
    »Ixanien braucht unbedingt Geld.«
    »Wofür?«
    »Um Süßigkeiten herzustellen.«
    Casey

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