Der dunkle Herzog
nachgezeichnet hatte. Sie erinnerte sich an ihn, wie er dagestanden hatte, mit gesenktem Kopf, die Hand auf dem kalten Stein – stolzer, ach so stolzer Hart –, voller Qualen, dass er nicht stark genug gewesen war, den kleinen Graham zu retten.
Eleanor legte die Hände auf ihren Bauch, in dem Leben sich zu rühren begonnen hatte. Ihr Kind. Harts Sohn. Die Tränen flossen schneller.
Sie hörte jemanden ins Zimmer kommen, aber sie konnte jetzt nicht aufsehen. Maigdlin, dachte sie, aber die Schritte waren anders, und sie nahm den Geruch von Zigarren und Wolle wahr.
Der Stuhl neben ihr knarrte, und dann berührte eine große Hand ihren Arm. Eleanor öffnete die Augen und sah Ian neben ihr sitzen, seine Hand ganz still auf ihr. Ian, der nur selten jemand anderen als Beth berührte.
Eleanor richtete sich auf und griff nach ihrem Taschentuch. Ian roch nach frischer Luft, nach Regen und Kohlenrauch. »Es tut mir leid, Ian. Es ist nicht, weil ich die Hoffnung aufgegeben habe.« Sie holte tief Luft. »Es ist, weil ich Mitleid mit mir selbst habe.«
Ian antwortete nicht. Er starrte auf das Buch, das noch geöffnet dalag. Es zeigte die Seite mit dem nackten Hart, dessen Kilt am Boden lag.
Mit hochrotem Kopf schloss Eleanor das Buch. »Das sind …«
»Die Fotografien, die Mrs Palmer von Hart gemacht hat. Gut. Sie hat sie dir also gegeben.«
Eleanor richtete sich auf, ihre Lippen waren leicht geöffnet. Joanna hatte gesagt, ein Unbekannter habe ihr die Aufnahmen geschickt, verbunden mit der Anweisung, sie nach und nach an Eleanor zu senden.
Nicht Hart. Ian
.
»Ian MacKenzie«, sagte sie.
Ian begegnete ihrem Blick einen flüchtigen Moment lang, dann betrachtete er die Muster auf dem Einband ihres Erinnerungsbuches.
»Du hast die Fotografien an Joanna geschickt«, sagte Eleanor. »Du warst es, nicht wahr?«
»Ja.«
»Grundgütiger Gott, Ian. Warum?«
Ian fuhr mit einer Fingerspitze über die vergoldeten Schnörkel, die sich überschnitten, auseinanderliefen und sich wieder trafen. Ohne aufzusehen sagte er: »Mrs Palmer hatte noch andere. Ich konnte sie nicht finden. Ich hatte Angst, sie würden in die Zeitung kommen, deshalb habe ich das Haus nach ihnen abgesucht, nachdem Mrs Palmer gestorben war. Aber jemand war vor mir dort gewesen, und ich fand nur die acht, versteckt hinter einem Mauerstein in einem Schornsteinabzug. Ich habe sie eine Zeit lang verwahrt und dann beschlossen, sie Joanna zu schicken.«
»Und ihr zu sagen, sie solle sie an mich schicken?«
»Ja.«
Er fuhr damit fort, das Muster nachzuzeichnen. Wieder und wieder, darauf starrend ohne zu blinzeln, sein Körper reglos bis auf den Finger auf dem Buch.
»Warum?«, fragte Eleanor, ein wenig schärfer als sie es beabsichtigt hatte.
Ian zuckte die Schultern. »Damit du zu Hart fährst.«
»Ich meine, warum jetzt? Warum nicht, als du die Bilder nach Mrs Palmers Tod gefunden hast? Und warum Joanna als Botin benutzen?«
»Joanna mag Hart. Sie hätte ihm helfen wollen.«
Er verfiel in Schweigen, und Eleanor sah ihn ungeduldig an. »Du hast meine erste Frage nicht beantwortet.«
Ian tat das manchmal. Er beantwortete nur das, was er beantworten wollte, und ignorierte alles andere. Er wandte diese Methode an, um seine Unfähigkeit zur Lüge zu umgehen.
Aber dieses Mal sagte er: »Ich habe die Bilder nicht geschickt, nachdem ich sie gefunden hatte, weil Hart damals zu beschäftigt war. Er hätte ihnen nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt, und wir hätten dich wieder verloren.«
»Nun, du kannst mir nicht erzählen, dass er jetzt weniger beschäftigt ist. Er steht kurz davor, Premierminister zu werden.«
Ian schüttelte den Kopf. »Ich habe gewartet, bis er all seine Pläne gemacht hatte. Jetzt ist es fast vorbei. Hart wird nicht lange Premierminister sein. Er wird fallen.« Ian riss seinen Blick von dem Muster los und sah Eleanor direkt an. »Und er wird dich brauchen.«
Eleanor, gefangen von den goldenen Tiefen in Ians Augen, konnte nicht wegschauen. »Wovon sprichst du? Seine Koalition ist stark, die Zeitungen sind voll davon. Selbst wenn Hart abwesend ist, wird sie die Mehrheit gewinnen. Seine Partei wird regieren.«
»Hart wird ein schlechter Führer sein. Er will alles immer auf seine Weise, die ganze Zeit. Alle müssen gehorchen.«
»Du meinst, dass er nur sehr schlecht Kompromisse schließt.« Eleanor musste Ian zustimmen. Das Wort Kompromiss war nicht für einen Hart MacKenzie erfunden worden.
»Ich weiß, was du meinst, Ian. Hart hat
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