Der dunkle Herzog
Hart war ein Getriebener – sie hatte in der Zeitung gelesen, wie er seine politischen Gegenspieler einen nach dem anderen auf seine Seite gebracht hatte, sie überzeugt hatte, dass sie ihm folgen wollten. Hart hatte nie etwas Gutes über Bonnie Prince Charlie zu sagen –
der arrogante Bastard, der die Highlander in den Ruin gestürzt hatte
–, aber Bonnie Prince Charlie musste über die gleiche Fähigkeit verfügt haben, Skeptiker dazu zu bringen, ihm zu vertrauen.
Doch mit Harts Aufstieg zur Macht war seine menschliche Wärme verlorengegangen. Eleanor dachte darüber nach, was sie in seinen Augen gesehen hatte, sowohl heute Morgen im Vestibül, als Hart ihr den Weg versperrt hatte, als auch an diesem Nachmittag, als er sie im Holborn-Haus überrascht hatte. Er war ein harter und einsamer Mann, getrieben von Unerschrockenheit und Entschlossenheit, es gab kein Lächeln mehr, kein Lachen.
Eleanor schob die Fotografie zur Seite und zog die nächste zu sich heran. Hart lächelte noch immer in die Kamera, aber mit geübter Arroganz. Den Kilt hatte er jetzt abgelegt, er hielt ihn in der Hand und ließ ihn auf den Boden hängen.
Hart war ein wunderwunderschöner Mann. Eleanor fuhr über seine Brust, erinnerte sich, wie es gewesen war, ihn zu berühren. Eine Ahnung davon hatte sie heute Nachmittag bekommen, als er ihr die Arme auf den Rücken gebogen und sie mit seiner Kraft gefangen gehalten hatte. Sie war seiner Gnade ausgeliefert gewesen – sie hatte gewusst, dass sie nicht fortgekonnt hätte, bis er sie freigab. Statt Angst zu empfinden, hatte Eleanor das Pochen dunkler Erregung in ihren Adern gespürt.
»Eleanor, bist du noch nicht fertig?«
Eleanor sprang auf, als Isabellas Stimme vor der Zimmertür erklang. Sie sammelte die Fotografien ein und legte sie zurück in die Schachtel. Sie schob diese in die unterste Lade ihres Frisiertisches, als Isabella MacKenzie in einem Traum aus silberfarbenem Satin und Taft ins Zimmer rauschte.
Eleanor verschloss die Schublade und steckte den Schlüssel in den Ausschnitt ihres Korsetts. »Entschuldige, Izzy«, sagte sie. »Ich musste noch etwas zu Ende bringen. Hilfst du mir beim Ankleiden?«
Hart spürte genau den Moment, in dem Eleanor in das Gedränge eintauchte, das im Ballsaal herrschte.
Sie trug Grün – ein flaschengrünes Kleid mit einem tiefen Ausschnitt, der ihre Schultern und viel von ihrem Busen freiließ. Eine Tournüre, weniger ausladend als die der anderen Ladys, wölbte sich unter ihrem Überrock, über den sich fließender Satin wie eine sanfte Welle bis zum Boden ergoss.
Der Schnitt des Kleides lenkte die Aufmerksamkeit auf Eleanors Taille und das schmale Oberteil, das wiederum den Blick auf das Dekolleté lenkte, das den Rahmen für den wohlgerundeten Busen abgab. Ein Smaragdanhänger an einer schlichten Kette ruhte im Tal zwischen ihren Brüsten. Smaragdohrringe, so grün wie das Kleid, schmückten ihre Ohren.
Hart war in Gedanken bei David Fleming gewesen, der Mitglied des Parlaments und Harts Augen und Ohren im Unterhaus war. Er hatte sich gefragt, ob der Mann in seinen Bemühungen Fortschritte machte. Fleming hatte vor, heute Abend all seine Überzeugungskunst einzusetzen, um noch einen oder zwei unentschlossene Männer für Harts Sache zu gewinnen: die Durchführung eines Misstrauensvotums gegen den amtierenden Premierminister Gladstone. Hart war der Meinung, dass die Zeit gekommen war und er Gladstone dazu zwingen konnte, entweder einzuräumen, dass Harts Bündnispartei über die Mehrheit verfügte und als Konsequenz daraus zurückzutreten, oder Neuwahlen auszurufen, von denen Hart verdammt sicher war, dass er und seine Partei sie gewinnen würden.
Überzeuge sie unter allen Umständen und mit allen nötigen Mitteln, hatte Hart zu Fleming gesagt. Fleming, ein charmanter Bonvivant, der aber so verschlagen wie eine Schlange sein konnte, hatte Hart versichert, dass er Erfolg haben werde.
Aber sobald Eleanor den Raum betreten hatte, lösten sich Harts Grübeleien über Gladstone, Stimmenfang und einen Wahlsieg in nichts auf.
Eleanor war strahlend schön. Heute Abend sah Hart sie das erste Mal in etwas anderem als in den hässlichen Baumwollkleidern, die sie tagein, tagaus trug. Dieses Kleid ließ sie glühen. Isabella musste ihr das Kleid entweder geborgt oder es für sie gekauft haben, aber wie dem auch sei, das Ergebnis war atemberaubend.
Ein wenig zu atemberaubend. Hart konnte den Blick nicht von ihr losreißen.
»Ich bin es mehr als leid,
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