Der dunkle Highlander
um ein Haar den Kaffeebecher fallen ließ. Sie wurde knallrot und blickte ihn streng über die Schulter an.
»Ich hätte dir einen zweiten spendiert«, sagte er mit einem Achselzucken.
»Du bist unverbesserlich!«, zischte sie. »Nur damit du's weißt: Das was im Flugzeug passiert ist, wird nie wieder vorkommen!« Damit drehte sie sich um und stolzierte zum Mietwagen.
Seine Augen funkelten gefährlich. Glaubte dieses Mädchen etwa, dass sie so intim mit ihm werden und ihn dann abweisen konnte?
O nein, ein Dageus MacKeltar trat nicht zurück. Das würde sie sehr bald herausfinden.
Je näher sie ihrem Ziel kamen, umso nachdenklicher wurde Dageus. Nach gründlicher Überlegung hatte er beschlossen, unangekündigt vor Drustans Tür zu erscheinen und darauf zu hoffen, dass Gwen ihm öffnete. Was dann geschehen würde, musste er auf sich zukommen lassen.
Er warf einen Blick auf Chloe und gestand sich ein, dass er diese Fahrt ohne sie nicht auf sich genommen hätte. Selbst in ihrer Begleitung hatte er ein halbes Dutzend Mal in Erwägung gezogen, kehrtzumachen. Wenn er allein wäre, würde er sich zuerst in den Museen umsehen. Er hätte den Besuch bei Drustan bis in alle Ewigkeit verschoben und jede Menge Vorwände gesucht. Aber die schlichte Wahrheit war, dass er Drustan nicht in die Augen schauen wollte. Mit Chloe an der Seite erschien es ihm nicht mehr unmöglich, seinem Bruder gegenüberzutreten.
Ihre Wut schien verflogen zu sein - das winzige Personellen hatte wohl keinen Platz für Zorn und diese unstillbare Wissbegier. Chloe trank ihren Kaffee, sah aus dem Fenster, deutete hierhin und dorthin und stellte endlos Fragen. Was ist das für eine Ruine? Wann beginnt in Schottland der Sommer? Wann blüht die Heide? Gibt es hier wirklich Baummarder, und werde ich wohl mal einen sehen? Kann man sie zähmen? Beißen sie? Können wir die hiesigen Museen besuchen? Wo liegt Glengarry? Wie weit ist es von hier entfernt?
Er antwortete geistesabwesend, aber sie war von der Landschaft so bezaubert, dass sie seine Unachtsamkeit nicht zu bemerken schien. Bestimmt würde sie sich in sein Heimatland verlieben. Ihre Begeisterung erinnerte ihn an eine Zeit, in der auch er die Welt staunend betrachtet hatte. Ein Menschenleben schien das zurückzuliegen.
Dageus zwang sich, den Blick von ihr abzuwenden und sich gedanklich mit dem bevorstehenden Treffen zu beschäftigen.
Er hatte seinen Bruder Drustan seit vier Jahren, einem Monat und zwölf Tagen nicht gesehen. Seit dem Abend, an dem Drustan in den Zauberschlaf versetzt wurde, der fünfhundert Jahre währen sollte. Sie hatten den letzten Tag gemeinsam verbracht und versucht, ein ganzes Leben in diese wenigen Stunden zu pressen.
Die Zwillingsbrüder waren, seit sie im Abstand von nur drei Minuten das Licht der Welt erblickten, die besten Freunde gewesen. In dieser Nacht nahmen sie Abschied voneinander. Für immer. Drustan legte sich in den Turm, an dem Dageus jeden Tag ein Dutzend Mal vorbeigehen musste. Anfangs wünschte er seinem Bruder voller Bitterkeit einen »guten Morgen«, aber bald wurde ihm das zur Qual.
Bevor Drustan in den Turm gegangen war, hatten sie Pläne für ein neues Schloss entworfen, das für Drustan und Gwen in der Zukunft ein Zuhause sein sollte. Nachdem Drustan in Schlaf gefallen war, stürzte sich Dageus in die Arbeit, beaufsichtigte den Bau und schuftete Seite an Seite mit den hundert Arbeitern. Er sorgte dafür, dass alles perfekt und genau so wurde, wie Drustan es sich vorgestellt hatte.
Während er mit dem Bau alle Hände voll zu tun hatte, wurde ihm bewusst, dass sich die Leere in seinem Inneren immer mehr ausdehnte.
Der Bau des Schlosses vereinnahmte ihn. Wenn ein Mann drei lange Jahre täglich bis zum Umfallen arbeitete, verlor er zwangsläufig einen Teil von sich an das, was er schuf. Die unbewohnten, wartenden Zimmer waren ein Versprechen von Familienleben und Liebe. Das Versprechen einer Zukunft, die für ihn selbst nicht vorstellbar war.
Nach Drustans Tod stand Dageus stundenlang vor dem neuen Schloss und starrte die dunkle, stille Silhouette an. Er malte sich aus, wie Gwen in der Zukunft lebte und wartete. Drustan würde nie zu ihr kommen. Sie musste allein mit allem fertig werden. Neil hatte ihm erzählt, dass Gwen schwanger war - Gwen selbst allerdings hatte, als sie noch bei ihnen gewesen war, nichts gemerkt. Doch dem scharfen Blick von Neil entging nichts. Und jetzt musste Drustans Frau ihr Kind ganz allein großziehen.
In Dageus'
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