Der dunkle Kreuzzug
›Iolani-Palastes‹ empfangen. Die Aufforderung, an den Hof zu kommen, hatten sie erst vor wenigen Stunden erhalten, kurz nachdem der Imperator auf die Inseln zurückgekehrt war. Ein Hochgeschwindigkeits-Aircar war zur Siedlung in West-Oahu entsandt worden, um sie direkt auf dem Dach des Palastes abzusetzen, wo sie ohne jegliche Formalitäten eingelassen wurden.
Der Imperator war allein in seinem Zimmer: keine Hüter, keine Palastwache, keine offiziellen Vertreter des Hofs. Er saß nicht einmal auf dem Kalakaua-Thron, sondern auf dem kastanienfarbenen Sofa. Als die Vertreter des Hohen Nests eingelassen wurden, stand er auf und fasste beide an den Unterarmen. Er sprach aber kein Wort, bis die Türen geschlossen worden waren.
»Danke, dass Sie so schnell kommen konnten«, begrüßte er die beiden. »Alle befinden sich unten im Großen Saal, ihnen werden wir uns noch früh genug stellen müssen. Aber zuvor wollte ich noch ein paar Minuten ganz mit Ihnen allein reden.«
»Ich stehe Ihnen zu Diensten, hi Imperator«, sagte Mya’ar und hob seine Flügel in eine respektvolle Pose.
»Ihr Hoher Lord hat mich in eine sehr unangenehme Lage gebracht, se Mya’ar«, erklärte der Imperator. »Durch diesen Rückzug aus dem Krieg hat er alte Wunden geöffnet.«
»Es war nicht hi Sa’as Absicht, Ihnen Unannehmlichkeiten zu bereiten, Sir«, antwortete Mya’ar. »Ich kann Ihnen versichern, es handelte sich nicht um eine unbegründete Entscheidung. Hinzu
kommt, dass das Hohe Nest sich nicht aus dem Krieg zurückgezogen, sondern lediglich unsere Streitkräfte aus der Flotte jenseits des Risses zurückbeordert hat.«
»Das läuft auf das Gleiche hinaus«, wandte der Imperator ein. »Dort führen wir den Krieg.«
»Dort befindet sich der Hauptkriegsschauplatz. Aber ausgetragen wird er auch viel näher bei uns.«
»Ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Die Vuhl befinden sich jenseits des Risses, hi Imperator – aber die esGa’uYal sind immer noch hier.«
Der Imperator verschränkte die Arme vor der Brust. »Erklären Sie mir das.«
Mya’ar sah zu Simon, der bislang noch kein Wort gesagt hatte, und überlegte einen Moment lang, ob der Mensch dem Imperator den Sachverhalt erklären sollte. Jedoch kam er zu dem Schluss, dass es sein Weg war, den er fliegen musste. Alles andere wäre ein Eingeständnis, dass selbst nach all dieser Zeit die beiden Spezies noch immer nicht in der Lage waren, miteinander zu kommunizieren.
» hi Imperator«, sagte er. »Der Feind jenseits des Risses, jene Spezies, gegen die wir seit so vielen Zyklen kämpfen, ist ein Widersacher, der Furcht auslöst. Aber es gibt noch einen gefährlicheren Feind, den wir schon seit viel längerer Zeit sehen können. Er hat sich in den Flug unserer beiden Völker eingemischt, seit wir uns vor über hundertfünfzig Standardjahren zum ersten Mal begegneten. Dieser Feind ließ das Volk glauben, die Menschen seien unsere Todfeinde. Dieser Feind schuf die Umstände, die beinahe zur Auslöschung unserer Spezies durch esHu’ur führten. Dieser Feind sorgte dafür, dass das gyaryu auf den Dunklen Pfad gebracht wurde, und er sorgte ebenfalls dafür, dass die Klinge in die Hände seines gegenwärtigen Trägers gelangte. Er hat auch den Propheten geschaffen.«
»Wie meinen Sie das: ›Er hat den Propheten geschaffen‹ ?«
»Ich meine das im wörtlichsten Sinn, hi Imperator. Ein Agent
dieses Feindes sorgte dafür, dass der naZora’e geboren wurde, der die Aufgaben übernehmen würde, die jenseits des Risses in die Tat umgesetzt werden. Dieser Feind hat uns alle nach Ur’ta leHssa gebracht, und der Hohe Lord weigert sich, ihm dorthin zu folgen. Wir wenden uns nicht von der Notwendigkeit ab, unseren gemeinsamen Feind zu vernichten – aber das haben wir längst hinter uns gelassen. Daraus ist anGa’e’Ra geworden: der Dunkle Kreuzzug.« Mya’ar brachte seine Flügel in eine Position, die er zuvor noch nie eingenommen hatte.
Viele Zyklen war es her, dass sich überhaupt irgendjemand mit dem Gedanken an anGa’e’Ra befasst hatte. Selbst in der Zeit von esHu’ur wurde dieser Begriff nicht benutzt.
»Dieser Begriff hat eine sehr schwerwiegende Bedeutung, se Mya’ar.«
» hi Imperator.« Mya’ar ließ seine Flügel in die Pose der Höflichen Annäherung sinken – eine Flügelhaltung, die fast jeder erkannte, der regelmäßig mit dem Volk zu tun hatte. »Es ist ein Begriff, den zu benutzen mir Angst macht, aber es gibt keine andere Möglichkeit, um es zu beschreiben.
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