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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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meiner Nase und meinen aufgerissenen Augen, aber ich sah nur mondverschleierte Dunkelheit. Kälte kroch unter meine Kleidung, jede Bewegung war unendlich schwer und das Pochen in meinem Kopf so laut wie dumpfe Paukenschläge auf einem Sklavenschiff. Ich krümmte mich unter Wasser, strampelte, aber ich war eingeschlossen wie eine Fliege im Honig und jede Bewegung ließ mich tiefer sinken. Krampfhaft versuchte ich die Luft anzuhalten, aber mein Körper reagierte von selbst und schnappte verzweifelt nach Atem. Salz auf meiner Zunge, schneidende Kälte in meiner Lunge, und während ich kämpfte und reflexartig versuchte, das Wasser auszuhusten, wurde die Dunkelheit zu Schwärze.
    Es war sehen und nicht sehen. Im Takt meines rasenden Herzens pulsierte alles um mich herum, Wasserhäute – oder Schleier? Hinter einem von ihnen schwebte ein hochgewachsener Mann mit feinen, intelligenten Zügen. Er war nicht alt, aber trotzdem war sein Haar schon grau. Sein Gesicht war hager und freundlich, mit schmalen Brauen, die noch dunkel waren. Und hier, an der Schwelle des Todes, kamen auch andere Traumgestalten zu mir: das Mädchen mit den roten Lippen und der ängstliche Junge. Er war tatsächlich blond und schmal, höchstens dreizehn Jahre alt. Hinter den Schleiern trieben die Gestalten um mich herum im Wasser, aufrecht, traurig und ernst. Der blonde Junge senkte den Kopf.
    Etwas Raues schabte über meine Wange und holte mich zurück. Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich noch lebte. Noch. Wasserwirbel trafen mich von einem anderen Körper, etwas sehr Lebendiges strich an mir vorbei. Haut, so rau wie Sandpapier , schrie es in meinem Kopf. Dann packte mich etwas schmerzhaft zwischen den Schulterblättern und riss mich nach oben.

Mein Körper war so schwer, als hätte man mir Marmorplatten auf den Rücken geladen. Alles brannte – meine Haut, der Nachtwind, und mein Mund vor Salz und Kälte. Schwall um Schwall presste ich mit einem Würgen Wasser aus Nase und Mund, bis endlich wieder Luft in meine Lunge strömte. Ich weiß nicht, wie lange ich immer wieder nach Atem rang. Nie hatte die Luft süßer geschmeckt.
    Meine Traumgestalten waren verschwunden, als hätte das Meer sie statt meiner verschluckt.
    Den Kopf zu heben, kostete zu viel Mühe, aber ich schaffte es, mich auf den Rücken zu wälzen. Der Mond trug einen Schleier aus langem Wolkenhaar und schien mich höhnisch anzulächeln wie meine Mörderin. Meine Zähne klapperten im Schock. Plötzlich war alles wieder da – der Angriff, der Schlag mit dem Stock, die Kälte. Und die Haie.
    Aber wie war ich hierhergekommen? Links von mir erahnte ich die Silhouette des Leuchtturms und der Stadt, weit entfernt. Hier, wo ich lag, gab es nur noch Fels, der an der Seekante steil in die Tiefe abfiel. Die Haie strichen so nah daran entlang, dass ich das schabende Geräusch von Sandpapierhaut an Stein hören konnte. Schwanzflossen schlugen nervös auf, Wasser spritzte. Wieder glaubte ich die raue Fischhaut an meiner zu spüren und die Hilflosigkeit, den Raubtieren unter Wasser ausgeliefert zu sein. Und wenn sie an Land kommen …
    Das schlug mich endgültig zurück ins Leben. Ich drehte mich auf den Bauch und versuchte auf Ellenbogen und Knien fortzukriechen, nur weg vom Wasser. Aber es war zu spät . Ich starrte auf bloße Füße, lange Beine in dunklen Hosen, sicher Haihaut, die wie Kleidung wirkte. Mein Atem rasselte in einem Schrei, der keiner war. Das Wesen packte mich an der Weste und zog mich in eine kniende Position hoch. Jetzt blieb mir sogar der Atem im Hals stecken. Das waren nicht die matten Augen eines Raubfischs. Diesehier funkelten voller Zorn im fernen Licht von Gaslaternen.
    »Du verdammte, hinterhältige Hexe!« Amad riss mich endgültig auf die Beine. Im ersten Moment wusste ich nicht, ob ich erleichtert sein oder mich fürchten sollte. Und bizarrerweise gab es irgendwo in einem Winkel meiner Seele noch ein ganz anderes Echo – die Freude darüber, ihn wiederzusehen.
    Raue Kiesel schabten über meine Füße und Knöchel, Amad schleppte mich ein Stück bergauf, weg von der Gefahr, dorthin, wo Fels in Kiesstrand überging. Meine Beine schienen mir nicht zu gehören, ich knickte um und fiel, kam wieder hoch. Dann verlor ich allen Halt und sackte auf den Kieselsteinen zusammen. Amad ließ sich neben mich fallen und starrte auf die Haifischflossen, die wie dunkle Messer durch nachtgraue Seidenwellen schnitten. Sein Ärmel und sein Hemd hingen in Fetzen, Haizähne, scharf wie

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