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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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lachten einfach! Ich riss die Augen auf. Es war, als würde mich das Schicksal höhnisch auslachen. Reingelegt. Weiter weg von zu Hause könnte ich nicht sein.
    Ich lag in einem achteckigen, von Säulen durchbrochenen Erkersaal. Das Abendrot tauchte den Raum in weiches Licht, aber den Verfall konnte es nicht kaschieren. In den glaslosen Bogenfenstern hingen Scherbenreste. Ranken und Flechten krallten sich an die Streben.
    Frauen lächelten mich freundlich an. Ich sah Zahnlücken und gelbliche Zähne, kurz geschnittenes Haar, das bei manchen schon grau war. Und dieses Mädchen, Juniper, saß neben mir und klemmte gerade das feuchte Tuch hinter den Henkel eines Wasserkruges.
    »Gut geschlafen?«, fragte sie munter. »Hast immer noch deine Zunge verschluckt, was? Naja, zumindest siehst du nicht mehr aus wie der Tod. Dein Bruder hatte ja tatsächlich vor, dich noch heute weiterzutreiben, wir konnten ihn kaum davon überzeugen, über Nacht hierzubleiben, statt euch im Dunkeln den Hals im Gebirge zu brechen. Wenn er mit eurem Vieh so rücksichtsvoll umgeht wie mit dir, ist es kein Wunder, dass eure Ziegen lieber verrecken.«
    Ich war zu verwirrt, um darauf zu antworten. Mein Kopf wusste, dass ich in der Fremde war – aber mein Herz fühlte sich merkwürdigerweise immer noch zu Hause.
    »Was ist das für ein Gebäude?«, flüsterte ich. »Warum ist es jetzt nicht unsichtbar?«
    »Ich vermute mal, damit wir uns nicht die Köpfe an den Mauern einrennen«, antwortete eine Rothaarige trocken. »Warum sollte die alte Kirche denn unsichtbar sein? Das hast du wohl geträumt.«
    Kirche? Ja, das passte. Und ich liege nicht auf einem Bett, sondern auf einem Block aus Onyx, früher war der Stein ein Altar.
    »Wo ist Amad?«
    »Dein Bruder macht sich bei den Männern nützlich. Wer unseren Lagerraum demoliert, hat was gutzumachen.«
    Alle starrten mich erwartungsvoll an. Offenbar war ich nun an der Reihe. Mir schoss das Blut in die Wangen. Ich konnte mich nur verraten. »Ich … ich muss gehen.« Ich setzte mich auf, aber dann fiel mir auf, dass ich nackt war. Erschrocken zog ich die Wolldecke bis zum Hals hoch. »Wo sind meine Kleider?«
    »Du meinst deine zerfetzten Lumpen?« Juniper winkte ab. »Die waren nicht mehr zu gebrauchen. Dein Gürtel mit den Taschen liegt beim Fenster, aber alles andere haben wir verbrannt, für den Fall, dass noch Windmagie drinhängt.«
    »Verbrannt?«, rief ich entsetzt. »Meine Sachen? Aber …«
    Juniper grinste. »Vor uns brauchst du dich nicht zu schämen. Und wenn du nackt zum Abendessen auftauchst, bleibt mehr für uns, die Männer vergessen dann, dass sie etwas essen wollten.«
    »Hör auf, du Schandmaul«, rief eine grauhaarige Frau. Sie hatte das gutmütige Gesicht einer dicken, zufriedenen Katze, Falten zerklüfteten ihre Augenwinkel und Wangen. »Glaub ihr kein Wort, Mädchen. Bei uns muss niemand nackt herumlaufen. Und du musst nirgendwohin, solange du noch völlig benommen bist.« Sie streckte ihre Hand aus und strich mir liebevoll über die Wange. Ich hätte zurückzucken müssen, aber ich tat es nicht, so sehr vermisste ich meine Familie plötzlich, so ausgehungert war ich nach Freundlichkeit, nach Menschen, zu denen ich gehörte. »Arme Kleine. Hast einen harten Weg hinter dir, hm? Du bist ja nur noch Rippen und Haut – halb verhungert. Im Schlaf hast du nach dieser Vida gerufen, und nach Anib und Zabina. Sind das deine Schwestern?«
    Jetzt konnte ich nicht verbergen, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich nickte einfach und schmiegte mich in die Liebkosung der Frau wie ein Kind, das Schutz sucht. Ich musste tatsächlich in einer anderen Wirklichkeit gelandet sein. Von der stolzen Stadtprinzessin war nichts mehr übrig. Aber wer bin ich dann?
    Der Bann war gebrochen. Die Frauen drängten zu mir, Hände streichelten mich tröstend, sie zogen mir sanft die Decke weg und halfen mir auf die Beine. Hosen aus weichem braunem Leder wurden mir in die Hand gedrückt, jemand holte aus einem Rucksack eine Art Hemd – und die Katzenfrau half mir in eine Weste aus festem grünem Stoff und vielen Taschen, wie sie auch die anderen trugen. »Danke«, flüsterte ich mit erstickter Stimme. Sie lächelten und nickten. »Du bist nicht allein mit diesem Kummer«, tröstete mich die Katzenfrau. »Wir kennen das nur zu gut. Wir haben alle Heimweh, wenn wir den Herbst über am Meer sein müssen. Manche weinen jede Nacht, weil sie sich nach ihren Familien sehnen. Naja, alle außer Juniper. Die kann es

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