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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Wimpernschlag vom Ahnen zum Begreifen. Aber diese Zeit gab ich ihm nicht. Ich umfasste sein Gesicht mit den Händen – und küsste ihn. Er holte überrascht Luft und erstarrte. Die Flasche fiel klappernd auf den Fels. Was tue ich da? Das wird nicht funktionieren .
    Aber dann war ich es, die völlig überrumpelt war. Amad zog mich an sich und erwiderte meinen Kuss mit einer Leidenschaft und Verzweiflung, die mir den Atem nahm. Es war nicht der besitzergreifende Kuss des Rabenmannes aus dem Traum – und auch nicht Tians Weichheit. Meine Panik zerstob und etwas anderes riss mich davon, kalt und heiß zugleich. Plötzlich gab es nur noch seine Lippen, kühl und rau. Sie schmeckten nach Wüstenwind und Sonne und unter meinen Fingern spürte ich die Bögen seiner Wangen. Dann wurden seine Arme in einem Atemzug schwer, der Griff um meinen Körper lockerte sich. Unsere Lippen lösten sich, er holte mühsam Luft. In seinen Augen glomm die hilflose Wut eines Raubtiers, das begriff, in eine Falle gelaufen zu sein. »Du … du hast …« Aber es war zu spät. Sein Körper verlor jede Spannung, er sank in sich zusammen und glitt mir aus den Armen. Ich ließ ihn los und sprang keuchend auf. Ich schmeckte noch seinen Mund, die Glut seines Kusses – und die raue Kühle seiner Lippen. Ich versuchte den Hass wiederzufinden, aber ich war nur völlig durcheinander und so benommen, dass ich beim Zurückweichen stolperte und fiel. Das Bithriumgift , redete ich mir ein. Es muss noch etwas an seinen Lippen gewesen sein. Schutzlos lag er vor mir auf dem Fels, den Kopf zur Seite gedreht, in seiner Miene noch der bittere Abglanz des Verstehens. Ich hätte triumphieren müssen, aber dieser Sieg schmeckte nur nach Ascheund Verrat. Ja, ich war zornig, dass er mich hintergangen hatte. Sogar zornig darüber, dass er meinen Kuss erwidert hatte – natürlich nur, um meine Stimmen zu vertreiben. Und ich war unendlich wütend und enttäuscht, dass er bereit war, mich und Tian für eine Frau zu opfern. Aber gleichzeitig verstand ein Teil von mir nur zu gut, wozu man fähig war, wenn man liebte. Und da war noch etwas. Trotz allem, was vorgefallen war, war ich traurig.
    »Töte ihn endlich«, raunte es direkt in meinem Ohr. » Es ist so einfach: Stich ihm den Dolch ins Herz oder stoße ihn in den Abgrund.« Eine Sekunde fühlte es sich tatsächlich so an, als wären es noch meine eigenen Gedanken. Aber dann schüttelte ich den Kopf.
    »Haltet verdammt noch mal endlich die Klappe«, zischte ich den Schatten der toten Wächter zu.

Eine Mörderin war ich nicht und auch als Diebin musste ich noch einiges lernen. Ich haderte eine ganze Weile damit, Amad so schutzlos zurückzulassen. Schließlich breitete ich den Sonnenmantel über den liegenden Körper und ließ ihm die Hälfte der Vorräte da, und auch ein Messer. Der Schatten eines Falken kreuzte meinen Weg, bis ich die Hängebrücke erreichte. Ich band mir die Graue wie einen zweiten Rucksack an den Körper, damit ich die Hände freihatte, und wagte mich auf die Brücke. Die Bretter gaben unter den Seilen nach, schwankend kam die Brücke in Bewegung, aber das Gewicht des Hundes und der Rucksack waren ein gutes Gegenwicht und verliehen meinen Schritten Festigkeit. Die Graue jaulte und winselte. Diesmal beherzigte ich Junipers Rat.
    »Ein, zwei, drei, vier, Sternenzauber, Sonnentier«, murmelte ich den alten Kinderreim vor mich hin. »… fünf, sechs, sieben, im Kerker frisst man Fliegen.«
    Ich stutzte und erwiderte das Lächeln des silbernen Flusses weit unter mir. In dem Traum, den ich vor zwei Tagen geträumt hatte, war der Vers verändert gewesen: » In Tibris frisst man Fliegen.« Das hatte Tians Kindergestalt aus dem Traum gesungen. Ich hätte sofort auf meine Träume hören sollen. Sie zeigten mir den richtigen Weg.
    Am Ende der Brücke holte ich Amads langes Messer hervor und säbelte die dicken Seile durch, an denen die Brücke befestigt war. Ich beobachtete, wie die Brücke davonschwang und mit einem Echoklappern am gegenüberliegenden Ende der Schlucht am Fels zerschellte, und war gleichzeitig erleichtert und traurig darüber, dass ich damit die letzte Verbindung zwischen mir und Amad gekappt hatte.
    *
    Doch so einfach war es nicht, das stellte ich in den nächsten Tagen fest. Ich schlief kaum, und wenn ich doch einmal wegdämmerte, träumte ich nicht von Tian und mathematischen Mädchen, sondern immer wieder von Amads Kuss.
    Ich schreckte mit klopfendem Herzen hoch und wusste nicht, was

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