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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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geworden. Seit dem »Hundeschei-
    ße-Tag«, wie er ihn bei sich nannte – eine Bezeichnung, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Und mit jedem Tag war das Bewußtsein um die Anwesenheit der Kameras gewachsen.
    »Keiner daheim, nehme ich an«, erklärte er wie üblich mit lauter Stimme und war sich dabei der Tatsache be-wußt, daß die mit den Kameras gekoppelten Mikrophone diese Worte aufgenommen hatten. Aber er mußte immer aufpassen; er durfte ja die Position der Kameras nicht kennen. Wie ein Schauspieler vor einer Filmkamera,
    dachte er. Du mußt spielen, als würde die Kamera gar nicht existieren, sonst schmeißt du die Szene. Und dann ist alles vorbei.
    Denn bei dieser Scheiße gibt es keine Wiederholungs-aufnahmen.
    Statt dessen muß man damit rechnen, von den Bändern gelöscht zu werden. Ich meine, ich muß damit rechnen.
    Nicht die Leute hinter den Kameras, sondern ich.
    319
    Was ich tun sollte, dachte er, um aus all dem herauszukommen, ist das Haus zu verkaufen; es ist ja sowieso heruntergewirtschaftet. Aber … ich liebe dieses Haus.
    Punktum!
    Es ist mein Haus.
    Niemand kann mich hier rausbringen.
    Aus welchen Gründen auch immer sie das tun würden
    oder wenigstens gerne täten.
    Immer vorausgesetzt, daß es da überhaupt ein »Sie«
    gibt.
    Vielleicht existieren die »Sie«, die mich beobachten, ja auch einfach nur in meiner Einbildung. Paranoia. Oder besser: nicht die »Sie«, sondern das »Es«. Das entpersön-lichte »Es«.
    Was immer es ist, das mich beobachtet – ein Mensch
    ist es nicht. Jedenfalls nicht nach meinen Maßstäben. Es ist nichts, was ich als Menschen erkennen könnte.
    So albern das alles auch ist, dachte er, so beängstigend ist es zugleich. Etwas wird mir angetan, von einem bloßen Ding, hier in meinem Haus. Direkt vor meinen Augen.
    Vor den Augen eines Etwas; im Blickfeld irgendeines Dings. Das, ungleich meiner kleinen, dunkeläugigen Donna, niemals blinzelt. Was sieht eine Kamera eigentlich? fragte er sich. Ich meine, was sieht sie wirklich?
    Sieht sie in den Kopf hinein? Oder in das menschliche Herz? Sieht eine starr montierte Infrarot-Kamera, wie man sie früher zu verwenden pflegte, oder eine 3-D-Abtastkamera, wie man sie heute verwendet, das neueste Modell, in mich – in uns – hinein, und ist das Bild, das auf den Schirmen erscheint, klar oder dunkel und ver-320
    schwommen? Ich hoffe, daß wenigstens das Bild auf den Schirmen klar ist, dachte er, weil ich in letzter Zeit nicht länger in mich selbst hineinsehen kann. Ich sehe nur Matsch. Matsch draußen; Matsch drinnen. Um unser aller willen hoffe ich, daß die Kameras es besser können.
    Denn, so dachte er, wenn die Kameras nur dunkle Bilder liefern, so dunkle wie die, die ich selber sehe, dann sind wir alle verdammt, sind wieder verdammt, wie wir es schon von jeher gewesen sind, und dann werden wir am Ende unwissend sterben, und selbst das bißchen, das wir wissen, jenes winzige Fragment der Wahrheit, noch
    falsch ausgelegt haben.
    Nach Zufallskriterien nahm er einen Band aus dem
    Bücherschrank im Wohnzimmer; es handelte sich, wie er feststellte, um Das große illustrierte Buch der körperlichen Liebe. Als er es nach Zufallskriterien aufschlug, entdeckte er eine Seite, die einen Mann zeigte, der mit seligem Lächeln an der über ihn ragenden rechten Titte einer vor Lust keuchenden Puppe knabberte, und er sagte laut, ganz so, als lese er etwas aus dem Buch vor, als zi-tiere er die Worte eines berühmten, altehrwürdigen, über-ragenden Philosophen (was natürlich nicht der Fall war):
    »Jedweder Mensch sieht nur einen winzigen Teil der
    einen, alles umfassenden Wahrheit, und sehr oft, ja sogar nahezu …

    Weh! steck’ich in dem Kerker noch?
    Verfluchtes dumpfes Mauerloch,
    Wo selbst das liebe Himmelslicht
    Trüb durch gemalte Scheiben bricht!
    321
    Beschränkt mit diesem Bücherhauf,
    Den Wurme nagen, Staub bedeckt,
    Den bis ans hohe … *

    … immer, bringt er sich sogar noch selbst um jenes kleine, kostbare Fragment. Ein Teil von ihm wendet sich gegen ihn und handelt wie eine andere Person, besiegt ihn von innen heraus. Ein Mensch innerhalb eines Menschen.
    Und damit letztlich überhaupt kein Mensch.«
    Mit einem bedeutungsschweren Nicken, so, als sei er von der Weisheit der nichtexistenten Worte auf jener Seite tief bewegt, schloß er das großformatige, in rotes Leder eingebundene und mit güldenen Lettern geschmückte Große illustrierte Buch der körperlichen Liebe wieder und stellte es auf seinen

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