Der dunkle Schirm
uns schwerfallen, zu sagen, wie sie ihm daher erscheint. Die Topologie ist der Zweig der Mathematik, der jene Eigenschaften einer geometrischen oder andersgearteten Kon-figuration untersucht, die unverändert bleiben, wenn das Objekt einer isomorphen, ja jeder denkbaren isomorphen, kontinuierlichen Transformation unterworfen wird.
Aber angewandt auf die Psychologie …«
»Und wenn Objekte eine solche Transformation
durchmachen – wer weiß, wie sie dann hinterher aussehen würden? Sie würden prinzipiell unerkennbar sein.
Um ein Analogiebeispiel zu wählen: Wenn ein primitiver Eingeborener zum ersten Mal eine Fotografie von sich sieht, dann erkennt er nicht, daß er das selbst ist. Und das, obwohl er doch schon viele Male sein Spiegelbild gesehen hat, in Flüssen oder auf der Oberfläche metallener Gegenstände. Weil sein Spiegelbild nämlich seitenverkehrt ist und die Fotografie nicht. Darum weiß er nicht, daß es dieselbe Person ist.«
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»Er ist nur das seitenverkehrte, zurückgespiegelte Abbild gewohnt und denkt, er sehe so aus.«
»Es kommt auch oft vor, daß eine Person, die ihre eigene Stimme vom Tonband hört –«
»Das ist etwas ganz anderes. Das hat etwas zu tun mit der Resonanz im Sinus –«
»Vielleicht seid ihr Scheißkerle es«, sagte Fred, »die das Universum verkehrt sehen, wie in einem Spiegel.
Vielleicht sehe ich es richtig.«
»Sie sehen es auf beide Arten. «
»Und welches ist nun –«
Ein Psychologe sagte: »Früher wurde bisweilen die
Ansicht vertreten, daß man nur ›Abspiegelungen‹ der Wirklichkeit sehe. Nicht die Wirklichkeit selbst. Der grundlegende Fehler einer solchen Abspiegelung ist
nicht, daß sie nicht wirklich ist, sondern daß sie umgekehrt ist. Ich frage mich …« In seiner Stimme schwang ein merkwürdiger Unterton mit. »Parität. Das wissenschaftliche Prinzip der Gleichgewichtigkeit. Universum und abgespiegeltes Bild, und aus irgendeinem Grunde halten wir das letztere für das erstere … weil es uns an bilateraler Parität mangelt.«
»Wohingegen eine Fotografie das Fehlen der bilateralen hemisphärischen Parität kompensieren kann; sie ist nicht das Ding, aber sie ist auch nicht verkehrt, so daß fotografische Bilder gar keine bloßen Abbilder mehr wä-
ren, sondern das Ding selbst in ihnen aufgehoben sein müßte. Durch eine Umkehrung der Umkehrung.«
»Aber ein Foto kann auch durch einen unglücklichen
Zufall umgekehrt werden, nämlich wenn man das Nega-
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tiv falsch herum einlegt und seitenverkehrt belichtet; man kann das normalerweise nur erkennen, wenn Schrift auf dem Bild ist. Aber nicht am Gesicht eines Menschen.
Man könnte zwei Kontaktabzüge von einem beliebigen
Menschen haben, einen seitenverkehrten und einen korrekten. Jemand, der diesem Menschen nie persönlich begegnet wäre, könnte nicht feststellen, welches das richtige Bild wäre, aber er könnte sehen, daß sie sich voneinander unterscheiden und nicht zur Deckung gebracht
werden können.«
»Merken Sie jetzt, Fred, wie vielschichtig das Problem ist, den Unterschied zwischen einem linken Handschuh und –«
»Und alsbald wird sich das Wort erfüllen, das da geschrieben steht«, sagte eine Stimme. »Der Tod wird auf-gezehrt. Im Sieg.« Vielleicht konnte nur Fred diese Worte vernehmen. »Denn«, sagte die Stimme, »sobald die Schrift rückwärts erscheint, wirst du wissen, was Illusion ist und was nicht. Die Verwirrung endet, und der Tod, der letzte Feind, Substanz Tod, wird nicht hinunterge-schluckt, sondern au/gezehrt – im Sieg. Siehe, ich verkünde dir nun das heilige Geheimnis: Wir werden nicht alle im Tode ruhen.«
Das Geheimnis, dachte er, er meint die Offenbarung.
Eines Geheimnisses. Eines geheiligten Geheimnisses.
Wir werden nicht sterben.
Die Spiegelbilder werden erlöschen
Und das wird rasch geschehen.
Wir werden alle verwandelt sein, und damit meint er: plötzlich wieder umgekehrt, auf rechte Weise. In einem Augenblick!
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Weil, dachte er düster, während er zuschaute, wie die Polizeipsychologen ihre Schlußfolgerungen schriftlich fixierten und die Berichtbögen abzeichneten, wir jetzt verkehrt sind. Ganz beschissen nach rückwärts gekehrt, nehme ich an, jeder einzelne von uns, jedermann und jedes verdammte Ding, und auch die Abstände zwischen uns und sogar die Zeit. Aber wie lange, dachte er, dauert es wohl, wenn ein Abzug gemacht wird, ein Kontaktab-zug, und der Fotograf entdeckt, daß er das Negativ falsch eingelegt hat, wie lange dauert es da
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