Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
des Foyers hin-
    über, wo zwei Frauen standen; sie lächelten. Indem er sich ein weinrotes Hemd mit Blumenmuster vor die Brust hielt, sagte Mike: »Ich geh’ heut’ groß aus, in die Stadt.«
    »All right, geht rein und kommt essen«, rief der Direktor des Rehabilitationszentrums anfeuernd. Seine Stimme klang so kraftvoll wie immer. Er winkte Bruce zu. »Na, wie steht’s, mein Junge?«
    »Gut«, sagte Bruce.
    »Klingt, als ob du dich erkältet hättest. «
    »Ja«, stimmte er zu, »das kommt vom Entzug. Könnte
    ich nicht doch ein bißchen Dristan oder –«
    »Keine Chemikalien«, sagte der Direktor des Zen-
    trums. »Nichts. Jetzt rein mit dir, damit du was in den Magen kriegst. Was macht dein Appetit?«
    »Besser«, sagte er, dem Direktor folgend. Von den Tischen aus lächelten die anderen ihn an.

    *

    Nach dem Essen saß er auf halber Höhe der breiten
    Treppe, die zum zweiten Stock führte. Keiner sprach ihn an; derzeit fand gerade eine Mitarbeiterbesprechung statt.
    Er saß da, bis sie zu Ende war. Alle Mitarbeiter tauchten jetzt wieder auf und strömten in die Halle.
    Er spürte, daß sie ihn ansahen, und vielleicht sprachen 418
    ihn auch einige an. Er saß auf den Stufen, vornübergebeugt, die Arme um sich gelegt, und starrte und starrte.
    Auf den dunklen Teppich vor seinen Augen.
    Jetzt keine Stimmen mehr.
    »Bruce?«
    Er regte sich nicht.
    »Bruce?« Eine Hand berührte ihn.
    Er sagte nichts.
    »Bruce, komm mal mit in den Gemeinschaftsraum.
    Eigentlich müßtest du ja schon auf deinem Zimmer sein und im Bett liegen, aber ich möchte mit dir sprechen, hörst du?« Mit einem Wink forderte Mike ihn auf, ihm zu folgen. So begleitete er Mike die Treppe hinunter und in den Gemeinschaftsraum, der jetzt leer war. Als sie im Gemeinschaftsraum waren, schloß Mike die Tür.
    Er ließ sich in einen tiefen Sessel fallen und bedeutete Bruce, sich ihm gegenüber hinzusetzen. Mike schien
    müde zu sein; dicke Ringe langen um seine kleinen Augen, und er rieb sich die Stirn.
    »Ich bin seit halb sechs heute morgen auf den Bei-
    nen«, sagte Mike.
    Ein Klopfen; die Tür ging einen Spaltbreit auf.
    Mit erhobener Stimme brülle Mike: »Ich möchte nicht, daß irgendwer hier hereinkommt; wir unterhalten uns.
    Hört ihr?«
    Gemurmel. Die Tür schloß sich.
    »Weißt du, du solltest lieber dein Hemd ein paarmal am Tag wechseln«, sagte Mike. »Ist ja furchtbar, wie du schwitzt.«
    Er nickte.
    419
    »Aus welcher Ecke des Staates kommst du eigent-
    lich?«
    Er sagte nichts.
    »Von jetzt an kommst du zu mir, wenn’s dir so
    schlecht geht. Ich hab’ das gleiche durchgemacht, vor ungefähr anderthalb Jahren. Sie haben mich immer im Wagen durch die Gegend gefahren. Andere vom Personal. Hast du schon Eddie kennengelernt? Das große, dür-re Handtuch, das immer alle Leute fertigmacht? Der hat mich acht Tage lang pausenlos durch die Gegend kut-schiert. Hat mich nie allein gelassen.« Mike brüllte plötzlich: »Wollt ihr wohl endlich draußenbleiben? Wir sind hier drin und reden. Geht und schaut euch Fernsehen an.«
    Seine Stimme wurde leiser, und er blickte Bruce prüfend an. »Manchmal muß man das tun. Jemanden nie allein
    lassen.«
    »Verstehe«, sagte Bruce.
    »Bruce, paß auf, daß du dir nicht das Leben nimmst.«
    »Ja, Sir«, sagte Bruce, zu Boden starrend.
    »Nenn mich nicht Sir!«
    Er nickte.
    »Warst du bei der Armee, Bruce? Hat’s daran gele-
    gen? Bist du deswegen auf dem Zeug hängengeblieben?«
    »Nein.«
    »Schießt du, oder schluckst du Tabletten?«
    Er gab nicht das geringste Geräusch von sich.
    »›Sir‹«, sagte Mike. »Ich selbst hab’ zehn Jahre im Knast gesessen. Einmal hab’ ich miterlebt, wie sich in unserem Zellentrakt acht Typen an einem Tag die Kehle durchgeschnitten haben. Wir mußten mit den Füßen in 420
    der Toilette schlafen, so klein waren unsere Zellen. Genau das ist es, was ein Gefängnis ausmacht: Du schläfst mit deinen Füßen in der Toilette. Du bist nie im Knast gewesen, oder?«
    »Nein«, sagte er.
    »Aber andererseits hab’ ich Gefangene gesehen, die
    achtzig Jahre alt waren und froh darüber, zu leben und die auch am Leben bleiben wollten. Ich erinnere mich noch genau an die Zeit, als ich auf Dope war und schoß; ich hab’ zu schießen angefangen, als ich noch ein Teenager war. Sonst hab’ ich mir nie was zuschulden kommen lassen. Ich hab’ mich nur vollgeschossen und bin dann für zehn Jahre in den Bau gewandert. Ich hab’ so viel geschossen – Heroin und T durcheinander –,

Weitere Kostenlose Bücher