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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Oh, Maria, ist es nicht entsetzlich, dass alles das, was passierte, der Liebe wegen geschah? Denn wie widernatürlich die Beziehung zwischen dem Jungen und dem Mann auch war, de Lipa hat Jean geliebt. Ich sah es damals an seinem Sterbebett und konnte es nicht deuten.«
    Der Abendstern, die sanft leuchtende Venus, stand über dem Horizont, als Almut ihr Gebet mit den Worten beendete, die sie gleichermaßen auf Jean, Dietke, de Lipa und sich selbst bezog: »Erhabene Mutter des Erlösers, allzeit offene Pforte des Himmels, Stern des Meeres, komm, hilf deinem Volke, das sich bemüht, vom Fallen aufzustehen, und erbarme dich der Sünder!«

24. Kapitel
    Drei Packen voller feinster Wäsche wurden am folgenden Nachmittag zusammengestellt und sollten im Hause des Weinhändlers abgeliefert werden. Das war erst ein kleiner Teil der Aussteuer, doch die Meisterin bestand darauf, wann immer sie etwas fertig stellten, es den Auftraggebern zu bringen, um das Geld dafür einzufordern. Ihre lange und ruhmreiche Ahnenreihe erfolgreicher Kaufleute konnte sie auch als Begine nicht leugnen. Thea, Trine und Almut machten sich also mit den großen Körben auf den Weg, während die anderen sich der schwereren Stoffe annahmen, die zu Mänteln und Gewändern verarbeitet werden sollten.
    Es herrschte reger Betrieb auf den Straßen und Gassen, die Stadt pulsierte vor Gerüchten, und die drei Frauen schnappten das eine oder andere auf. Es hieß, dass am Morgen die Erzbischöflichen ihr Zeltlager im Süden vor der Stadt aufgeschlagen hatten. Die einen sprachen vom entfernten Rodenkirchen, die anderen vom näheren Judenbüchel, und ganz Verängstigte sahen die Söldner schon zum Severinstor einmarschieren.
    »Sollen wir nicht besser umkehren, Thea? Wer weiß, was geschehen kann? So nahe haben sich die Erzbischöflichen noch nie an die Stadt herangetraut.«
    »Bis die den Mut gefasst haben, etwas zu unternehmen, sind wir schon lange wieder zurück. Das ist eine reine Drohgebärde, wenn du mich fragst.«
    »Hoffentlich. Bislang haben wir ja wirklich noch nicht viel von den Auseinandersetzungen mitbekommen.«
    Dennoch beeilten sich die drei, ihren Auftrag zu erfüllen, denn die allgemeine Stimmung erwartungsvoller Befürchtungen und hektischer Betriebsamkeit ließ sie ebenfalls nicht unberührt. Sie bahnten sich den Weg durch geschäftige Händler, wichen den Fuhrleuten und Trägern aus, die Waren von den Toren am Rhein zu den Lagerhäusern brachten, und mussten sich einmal gegen eine Hauswand drücken, als ein übel riechender Karren der Goldgräber, der Kloakenreiniger, vorüberrumpelte. Trine verzog das Gesicht vor Abscheu, und Almut und Thea hielten den Atem an.
    »Pfui Teufel, seit wann schaffen die das Zeug denn am hellen Tag durch die Stadt?«, fragte Thea aufgebracht, als die stinkende Fuhre vorüber war.
    »Würdest du gerne des Nachts hier lang ziehen – mit all den Truppen vor dem Tor?«, meinte Almut.
    »Ich glaube nicht, dass die Erzbischöflichen die angreifen würden. Die vergießen nur ehrliches Blut!«
    »Ich glaube kaum, dass die Söldner Angst davor haben, durch die Berührung von Unehrlichen Schaden zu nehmen.«
    »Nein, aber der Gestank würde sie abschrecken. Gut, aber wir sind da. Klopf du an die Tür!«
    Grit, die Magd, öffnete ihnen und bat die Beginen ins Haus.
    »Wie geht es dem Herren de Lipa? Hat er sich von seiner Unpässlichkeit am Sonntag erholt?«, fragte Almut, bevor Grit die Dame des Hauses von ihrem Kommen benachrichtigte.
    »Es geht ihm besser, doch er ist noch nicht wieder ausgegangen.«
    Rudger tauchte aus einer Seitentür auf, maß die Beginen mit einem kühlen Blick und verzog sich wieder. Die Magd verschwand in einem der oberen Räume und kehrte mit Frau Dietke zurück. Diese zuckte zusammen, als sie Almut erkannte, fasste sich aber schnell und kam in starrer Haltung und mit zusammengepressten Lippen auf sie zu.
    »Was führt Euch her?«, fragte sie unwirsch. Ihr klangen die Anschuldigungen, die sie in der Nacht des Festes gemacht hatte, noch deutlich in den Ohren, vermutete Almut und überließ Thea das Reden.
    »Die ersten Teile der Aussteuer für Eure Nichte, Frau Dietke.«
    »Ach so. Bringt es in die Stube, damit ich es begutachten kann. Folgt mir.«
    Mit spitzen Fingern und sehr gründlich überprüfte die Hausherrin die einzelnen Stücke, während Almut, Trine und Thea stumm dabeistanden. Sie wussten, dass sie gute Arbeit geleistet hatten. Aber Dietke nahm sich Zeit und fand doch das eine oder andere

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