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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Hemd oder Tüchlein, das sie zu beanstanden hatte. Sie legte sie gesondert beiseite und wollte gerade anfangen, ihre Einwände zu nennen, als von der Straße lautes Geschrei erklang.
    »Feuer! Brand! Feuer! Rette sich, wer kann!«
    Einer der Lagerarbeiter kam in die Stube gepoltert, außer Atem und rot im Gesicht.
    »Die Erzbischöflichen beschießen die Stadt! Mit Brandpfeilen! Am Severinstor steht alles in Flammen!«
    Dietke starrte ihn an und legte dann langsam die Haube nieder, die sie in der Hand gehalten hatte.
    »Rettet Euch in die Kirche!«, schnaufte der Bote und trampelte wieder hinaus, um die Nachbarn zu warnen.
    »Grit, Mathilde, Rudger!«, rief Dietke und stürzte aus der Stube.
    Trine zupfte an Almuts Ärmel und sah fragend und verwirrt zu ihr auf. Das half Almut, die Fassung wiederzugewinnen, und sie bemühte sich, dem Mädchen die Gefahr verständlich zu machen, die ihnen drohte. »Wir drei gehen in die nächste Kirche. Mag sein, dass wir da sicherer sind als auf den Straßen oder gar in den Häusern der Reichen.«
    Thea nickte und schob Trine vor sich her aus der Tür.
    In der Diele hatte sich das Gesinde versammelt und verursachte ein jammerndes, heulendes Durcheinander. Mägde, Stallburschen, Küchenmädchen, Knechte, Schreiber und die Köchin rafften ziellos irgendwelche Dinge zusammen, die ihnen von Bedeutung erschienen, wurden von Dietke und Rudger in unterschiedliche Richtungen geschickt oder liefen kopflos zur Tür und wieder zurück, ohne sich entscheiden zu können, ob sie draußen oder im vertrauten Haus sicherer waren.
    »Raus hier. Das ist ja wie unter Irren!«, flüsterte Thea und zerrte Trine hinter sich her.
    Almut wollte ihnen folgen, doch eine Magd stolperte und fiel ihr lang vor die Füße. Um nicht selbst zu fallen, hielt sie sich am Erstbesten fest, das sie greifen konnte – und wurde gehalten.
    Sie sah in das zerstörte Gesicht des Haushofmeisters und wollte ihm gerade danken, als dieser seinen Griff verstärkte und sie fest an sich gedrückt hielt. Sie wollte sich losmachen, doch Rudger war ein starker, großer Mann. Trotz seiner Behinderungen hob er sie hoch und warf sie sich wie einen Lumpensack über die Schulter. Almut schrie empört auf, aber in dem allgemeinen Heulen und Wehklagen ging ihr Protest einfach unter. Sie trommelte mit den Fäusten auf Rudgers Rücken, aber auch das beeindruckte ihn wenig. Stetig und beharrlich bahnte er sich den Weg durch Körbe und Kästen zur Treppe, die in den Keller führte. Niemand beachtete ihn.
    »Rudger, lasst mich los! Sofort! Was soll das?«
    Er antwortete nicht, sondern stieg Stufe für Stufe in die kühlen Gewölbe hinab. Kein Zappeln, kein Bitten, kein Schlagen, kein Schreien half Almut, ihr Bezwinger schleppte sie weiter, öffnete mit einer Hand eine feste, dicke Eichentür und durchquerte einen finsteren Keller. Er schien sich hier auch ohne Licht auszukennen. Nirgendwo stieß er an und fand in dem fahlen Dämmerlicht, das durch einen Lichtschacht hoch oben an der Decke fiel, eine zweite Tür. Die Angeln kreischten, als sie sich öffnete, und ein feuchtkalter, fauliger Gestank traf Almuts Nase.
    »Nein! Rudger, nein! Erbarmen!«
    Nichts half ihr. Dietkes Bruder wuchtete sie mit einem Ruck von seiner Schulter und warf sie zu Boden. Sie prallte hart auf dem Lehm auf und stieß mit dem Kopf gegen einen Stein. Benommen blieb sie liegen, als die Tür hinter ihr zufiel und sich der Schlüssel im Schloss drehte. Erst nach einer guten Weile war sie wieder so weit, die schmerzenden Glieder zu bewegen. Vorsichtig stand sie auf und versuchte, sich ein Bild von ihrem Gefängnis zu machen. Ein kleiner Raum, die Tür an der schmalen Seite, gegenüber, ebenfalls hoch oben, unerreichbar an der Decke, die fast doppelt so hoch war wie sie selbst, ein schmaler Lüftungsschlitz. Sonst gab es nichts in diesem Kellerraum. Er war leer. Durch die feuchten Steine ihres Verlieses sickerte faulig riechende Feuchtigkeit. Und sie wusste, hinter dieser Mauer lag die Kloake.

25. Kapitel
    Thea und Trine hatten die nächste Kirche, Sankt Maria im Kapitol, erreicht und warteten mit den anderen, die hier Zuflucht gesucht hatten, auf die neuesten Meldungen. Es trafen die unterschiedlichsten Nachrichten ein. Manche sahen schon die ganze Stadt in Flammen und knieten in flehentlichen Gebeten um ihr eigenes Wohl vor den Heiligen, andere ließen abschätzige Bemerkungen über des Erzbischofs Fähigkeiten als Heerführer laut werden und versprachen blutrünstige Rache.

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