Der dunkle Spiegel
Tor auf und sah sich suchend um. Nichts regte sich, abgrundtief finster lag der Hof da. Ein kleines Öllämpchen wurde entzündet, und in seinem gelblich flackernden Schein untersuchte der Mann die sorgfältig auf einem Karren aufgestapelten Fässer. Er seufzte leise, als er die Markierung fand. Dann wandte er sich ab, um ebenso leise und heimlich die Tür zu den tiefen kühlen Gewölbekellern aufzuschließen. Auch hier unten sah er sich im Flackerschein der Handleuchte um und stellte sie dann vorsichtig auf einem Sims ab. Er kannte sich gut aus in diesen Gewölben und wusste, dass die Fässer vor ihm von gleicher Art waren wie die auf dem Karren im Hof. Sie waren zwar schwer, doch nur so schwer, dass ein kräftiger Mann sie eben noch auf der Schulter tragen konnte. Er beugte sich, nahm das erste Fass auf, suchte langsam den Weg die Stiegen empor und stellte seine Last neben dem Karren ab. Dort schulterte er eines der darauf befindlichen Fässer und trug es hinab. Als er mit dem nächsten Fass zurückkam, ging sein Atem rasselnd, nach dem dritten hatte er alle Vorsicht fahren lassen und keuchte laut. Fünfmal schaffte er den anstrengenden Weg, dann blieb er zitternd und nach Luft ringend an den Karren gelehnt stehen. Schweiß lief ihm über die Stirn und rann in seine Augen, doch er war zu matt, um ihn fortzuwischen. Weitere fünf Fässer hätte er noch umtauschen müssen, doch alle Kraft hatte ihn verlassen. Als sein Atem wieder ruhiger ging, wankte er noch einmal in den Keller zurück, um die Lampe zu holen. Doch sie war erloschen, und so stieß er sich in der Finsternis schmerzhaft den Kopf und das Schienbein an. Mühsam schleppte er sich die Stiegen empor, verließ den Hof und schloss das Tor sorgfältig hinter sich. Erschöpft an die Wand gelehnt, sprach er leise ein flehentliches Gebet, während sich oben, an der Mauer zum Nachbargrundstück, unbemerkt ein flinker, gewandter Schatten löste und lautlos den gefällig sich neigenden Ast einer alten Buche neben dem Apfelbaum erklomm. Plötzlich zerriss der protestierende Schrei einer verärgerten Katze die stille Nacht, und der Erschöpfte zuckte angstvoll zusammen. Dabei riss die dünne Schnur an seinem Hals, und ein zierlich geschnitztes Holzscheibchen fiel zu Boden. Sein Besitzer bemerkte den Verlust nicht, sondern machte sich langsam und mit bleischweren Gliedern auf den Rückweg.
4. Kapitel
Raus, du dumme Sau! Raus aus der Stube!« Mit einem Besen schubste Almut das neugierige Borstenvieh aus der Tür. Dann rief sie erbost nach der Schweinehirtin.
»Mettel, Mettel, wo steckst du?«
»Hier oben. Das blöde Huhn hat seine Eier wieder auf das Dach gelegt!«
Almut verdrehte die Augen. Es wurde wirklich Zeit, dass sie einen neuen Stall bekamen. Schon einmal hatte die Sau ihre Stickarbeit aufgefressen. Vier Wochen Arbeit für nichts! Aber bald war es geschafft, die anstrengendste Phase hatte sie hinter sich. Almut war die Tochter eines angesehenen Baumeisters. Sie war auch die Witwe eines Baumeisters, und vom Baugeschäft verstand sie etwas. Darum hatte sie es sich, natürlich mit Billigung der Meisterin, zur Aufgabe gemacht, einen vernünftigen Stall für das Schwein, seine gelegentlichen Nachkommen, eine Schar Hühner und eine mäkelige Ziege zu bauen. Die Tätigkeit verschaffte ihr große Befriedigung, und wann immer ihre Zeit und das Wetter es zuließen, zog sie an der Westseite von Elsas Häuschen nach und nach die Mauer hoch.
Den ganzen Montag hatte sie damit verbracht, doch der Dienstag war anderen Verpflichtungen gewidmet. Elsa war von ihrem kranken Zahn genesen und voller Tatendrang, all die liegen gebliebenen Arbeiten zu erledigen. Dabei hatte sie natürlich auch bemerkt, dass Almut bei der Herstellung der Lavendel-Tinktur einen Fehler gemacht hatte.
»Das war Rosmarin, den du da reingetan hast. Kannst du denn noch nicht einmal die einfachsten Kräuter voneinander unterscheiden?«, fauchte sie, als sie Almut vor der Tür traf.
»Kann ich wohl nicht. Ist das denn so schlimm?«
»Weiß ich noch nicht. Bei Lavendel vielleicht nicht. Werd’s ausprobieren müssen.«
»Es riecht aber wirklich gut.«
»Mh.«
»Dietke de Lipa hat’s gefallen. Vielleicht kannst du es ja auch anderen als Duftwasser verkaufen.«
»Mh. Mal sehen. Nimm auf jeden Fall ein Fläschchen für die edle Dame mit. Aber vergiss nicht wieder, dir das Geld geben zu lassen. Und erkundige dich auch nach dem Jungen, hörst du!«
Almut nahm der Apothekerin die barschen Worte nicht
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